Musik_The Turn of the Screw
Tödliches Landhaus-Idyll
Der amerikanische Schriftsteller Henry James schrieb die Novelle "The Turn of the Screw", die der britische Komponist Benjamin Britten als Vorlage für eine der großartigsten Opern der Moderne verwendete. Wie der kanadische Meisterregisseur Robert Carsen die beklemmenden 16 Bilder in Szene setzt, ist unnachahmlich. Gelungener Saisonstart im Theater an der Wien.
25.09.2011
Vor zehn Jahren, zu den Wiener Festwochen 2001, gab es Benjamin Brittens Meisterwerk im Ronacher zu hören; damals unter der musikalischen Leitung von Daniel Harding. Seither war "The Turn of the Screw" auf keiner Wiener Bühne mehr zu sehen und zu hören. Luc Bondy inszenierte die Horrorgeschichte seinerzeit recht eindrucksvoll, wohingegen Robert Carsens aktuelle Inszenierung nicht nur den großen Geist des Regisseurs beinhaltet, sondern auch den gelungenen Einsatz aller modernen technischen Hilfsmittel. Aber dazu später mehr ...
Henry James (und der geniale Librettist Myfanwy Piper) zerlegten die zweiaktige Oper in 16 Bilder und einen Prolog. Das Stück dreht sich um eine Gouvernante, die unter skurrilen Umständen die zwei Waisenkinder eines Vormunds betreuen soll, wobei sie für etwaige Vorfälle die volle Verantwortung trägt und der Herr Vormund keinesfalls irgendwie belästigt werden darf. Es beginnt mit einem (trügerischen) Landhausidyll, das von Bild zu Bild zunehmend zu einer grusligen Story mutiert. Plötzlich erscheinen der Gouvernante und den Kindern die Geister der ehemaligen Hausangestellten Miss Jessel und Quint. Und schließlich weiß man dann nicht mehr, ob sich alles nur im Kopf der Gouvernante abspielt oder ob es tatsächlich im Haus spukt. Das fatale Ende besteht im Tod des Kindes Miles, als er letztlich Quint als das personifizierte "Böse" erkennt. Nach der Vorgeschichte soll der mittlerweile verstorbene Quint auf Miles einen schlechten Einfluß gehabt haben - wie weit der geht, bleibt der Phantasie des Publikums überlassen.
Es ist grandios, wie Benjamin Britten diese Story in Töne verpackt hat. Die Oper wurde 1954 uraufgeführt; Britten instrumentierte das Werk für nur 13 Musiker und bewies ähnlich wie Richard Strauss bei seiner "Ariadne", wie gewaltig diese überschaubare Anzahl von Instrumenten klingen kann. Durch Cornelius Meister und die Musiker des ORF-Orchesters erfuhr die Musik des Komponisten auf besondere Art Unterstützung. Wie Meister mit seiner Mannschaft Brittens subtile und feine Partitur umsetzte, war geradezu unnachahmlich. Sowohl bei den Tutti-Stellen als auch bei ihren solistischen Einsätzen wurde aus der Partitur pure Klangmalerei - von fröhlichen Klängen bis zum beklemmenden Ende. Da blieb beim Zuhörer die Gänsehaut nicht aus.
Robert Carsen setzte die Handlung in großartige Bilder um. Der Prolog wurde vom eindrucksvollen Tenor Nikolai Schukoff vom Rednerpult aus vorgetragen, wobei Dias im Retrolook seine Worte untermalten. Ganz einfallsreich war auch die erste Szene, die die Reise der Gouvernante beschreibt: Als Stummfilm in Schwarzweiß sah man die hübsche Frau im Zugabteil, während Sally Matthews von der Seitenbühne aus sang. Alle anderen Bilder konzipierte Carsen wie eine Filmproduktion. Mit Ein- und Ausblendungen charakterisierte er die Sequenzen der Oper. Am beeindruckendsten gelang dem Regisseur die achte Szene im ersten Akt. Beim Alptraum der Gouvernante sah man in fiebertraumhaften Projektionen die Geister von Miss Jessel und Quint sowie die Kinder. Eine derart morbide Szene bringt in dieser Form wahrscheinlich so schnell keiner auf die Bühne.
Neben Sally Matthews und Nikolai Schukoff zählten die immer noch fabelhafte Ann Murray als schrullige, alternde Haushälterin Mrs. Grose und Jennifer Larmore als Miss Jessel zur Spitzenbesetzung. Eine gesonderte Erwähnung verdienen die Kinder Eleanor Burke als Flora und Teddy Favre-Gilly als Miles. Sie waren nicht nur stimmlich, sondern vor allem szenisch die Hauptrollen dieses Geniestreichs.
Herbert Hiess
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