Musik_The Mars Volta - Frances The Mute

Realitätsverlust mit Qualitätsgarantie

Kann man einen Geniestreich wiederholen? The Mars Volta beweisen es mit ihrem zweiten Album: progressiver Konzeptrock mit Kunstanspruch in Vollendung.    21.03.2005

"Frances the Mute" ist ein verstörendes, psychedelisches Puzzle aus Ideen, Stilen, Ländern, Formen, man möchte fast Farben hinzufügen, das mittels fünf Songs, unterteilt in Einzelparts, schon vor dem ersten Hören klarmacht: Das hier wird nicht einfach. Das hier ist ein Konzeptalbum. Das hier hat den unbedingten Anspruch, Kunst zu sein.

Und tatsächlich steigen The Mars Volta, wie könnte es anders sein, mit dem zerfahrensten Stück ein, das diese Platte zu bieten hat: "Cygnus Vismund Cygnus". 13 Minuten Verwirrung nach einem zerfließenden Akustik-Intro, wechselnde, überschaubare Stakkato-Rhythmik, dann ruhige Zwischentöne, gefolgt von einem fiebrigen schnellen Solo: Der Trip hat begonnen. Man merkt schnell, daß auf dieser Platte die Zugangswege nicht verschlossen, sondern eher zugemauert wurden, zugesponnen von klebrig-desorientierenden Gitarrenfäden, die aus allen Ecken und Ende kriechen. Dagegen kann man ankämpfen und sich aussichtslos darin verlieren - oder sich mit Genuß darin verirren und treiben lassen.

Mars Volta spalten ihr Publikum diesmal endgültig. Und zwar vollkommen bewußt: "Frances The Mute" ist gewissermassen ihr persönliches "Kid A", verstörte Toncollagen in Massen inbegriffen. Ob das nun Artrock pur oder akustisch-zufällige Langeweile ist, muß jeder Hörer selbst entscheiden, das Konzept in sich ist allerdings hermetisch abgeschlossen. Wo die Songs auf "De-Loused In The Comatorium" noch eine wenigstens partielle Bodenhaftung, klebend an klassischen Progressive Rock-Mustern hatten, gähnt jetzt nur noch ein leerer, psychotisch anmutender Abgrund:

"Miranda, That Ghost Isn't Holy Anymore", der Song mit den vielzitierten Froschgezwitscher-Sounds im Intro, das wohl am leichtesten zu unterschätzende Stück dieser Platte, gibt mitreißend und doch vergleichsweise sanft die progressive Richtung vor, der unglaublich intensive 30-Minüter "Cassandra Gemini" zeigt, wie das Ganze in formvollendeter Perfektion klingt und "The Widow" beweist in (für Mars-Volta-Verhältnisse) kurzen sechs Minuten, wie sich die Band anhören könnte, wenn sie einen Bezug zur konventionelleren Ecke ihres Genres herstellen wollte. Wobei die Begriffe "Konvention" und "Genre" hier sehr relativ zu sehen sind, gelten doch The Mars Volta im Grunde als Antithese dessen, was man als Rockmusik im allgemeinen kennt.

Den Höhepunkt der Platte bildet schließlich "L'Via L'Viaquez", ein Track, der die Stimmung der Platte am Besten zusammenfaßt, sämtliche Latino-Elemente zusammenfließen lässt und in offener, genialer Form wieder ausspuckt.

Fazit: Ein zweites "Drunkship Of Lanterns" oder "Televators" haben The Mars Volta auf "Frances The Mute" nicht geschrieben. Wofür auch? Dieses Mal zählt die ganze Platte als Einheit. Und die ist fast noch visionärer als beim letzten Mal. Erster klarer Anwärter auf den Titel "Platte des Jahres".

Sebastian Baumer

The Mars Volta - Frances The Mute

ØØØØØ


GSL/Universal (USA 2005)

 

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