Musik_System Of A Down - Mezmerize

Übers Ziel hinaus

Auf ihrem neuen Album destillieren SOAD die Quintessenz ihres bisherigen Schaffens und stopfen diese in elf hektisch-zerfahrene Songs.    23.05.2005

Die Idee des Labels, ein Doppelalbum auf zwei Releasetermine aufzusplitten, hat wohl weniger damit zu tun, die armen Hörer nicht zu überfordern, sondern beruht auf der ökonomischen Erkenntnis, daß zwei einzelne CDs mehr Geld einbringen als eine doppelte.

Ob sich im Falle von System Of A Down neben dem ökonomischen Mehrwert auch ein künstlerischer herleiten läßt, muß bezweifelt werden. Denn daß "Hypnotize", das im Herbst erscheinende Schwesteralbum, kohärentere und stimmigere Songs aufweisen wird, steht zu bezweifeln. Was nämlich auf "Mezmerize", dem ersten Teil, fehlt, sind die bretterharten Ohrwürmer, die SOAD seinerzeit zum verdienten Außenseiter-Höhenflug verhalfen. (Man denke an Straßenfeger wie "Toxicity", "Science" oder das hymnenhaft-grandiose "Inner Vision".)

Trotzdem ist der Wiedererkennungswert auf "Mezmerize" beträchtlich. Die Stop-and-Go-Technik der Musiker ist an Präzision nicht zu überbieten, die Theatralik und das operettenhafte Gebahren der Sänger Serj Tankian und Daron Malakian mitunter schwer zu ertragen. Das zeigt sich im vertrottelten Caruso-Lalala von "B.Y.O.B." genauso wie im nach den Schlümpfen klingenden Refrain "Gonnorhea Gorgonzola" von "This Cocaine Makes Me Feel Like I’m On This Song". Musikalisch langen SOAD dabei gern mal in die Folklorekiste. Ein Kunstgriff, der das Album gelegentlich rettet und gleichzeitig von der technischen Sterilität ablenkt, die Produzent Rick Rubin mitverantworten muß. Der Stilmix von "Radio/Video", der den Song plötzlich in einen Kosaken-Tanz verwandelt, ist zur Abwechslung wirklich lustig. Überhaupt scheint der ernsthafte, politische und christliche Zugang SOADs nun endgültig farbenfroher Clownerie und Genreverarschung gewichen zu sein - besonders amüsant: das Red-Hot-Chilli-Peppers-Fake "Lost in Hollywood".

 

Die Lyrics zeichnen - wie gehabt - ein comichaftes Schwarzweißbild der amerikanischen Gesellschaft. Es geht um den Irakkrieg ("Everybody’s going to the party, have a real good time / Dancing in the desert, blowing up the sunshine" - auf "B.Y.O.B") , sie prangern den grassierenden Turbokapitalismus und dessen Proponenten an, die mit riesigen Schwänzen = Zigarren protzen und doch bloß die Welt unterjochen wollen ("Cigar"), und raten den Fans den Fernseher, das oberste Instrument der Verblödung, ein- für allemal auszuschalten ("Violent Pornography"). Eine wirkliche Neuerung hingegen ist, daß Serj Tankian als "First Singer" öfter in den Hintergrund tritt und Daron Malakian den Vortritt läßt.

Natürlich ist "Mezmerize" kein wirklich schlechtes Album, aber weniger wäre mehr gewesen. Das 36 Minuten anhaltende Trommelfeuer aus schizophrenen Stimmungsschwankungen, zerhacktem Metal-Disaster, vollgepackt mit irren Harmonien und ausufernder Zurschaustellung musikalischen Könnens vergeht wie im Zeitraffer. Kaum hat man einen Song halbwegs erfaßt, steckt man schon mitten im nächsten. Ja, manchmal kann auch der beste Powermetal einfach zu gehetzt sein.

Fazit: "Mezmerize" wirkt wie mit Silikon aufgespritzt, rotzig frech, bemüht durchgeknallt - und kann an Einprägsamkeit und Treffsicherheit nicht an die Vorgänger "Toxicity" und "Steal this Album" anschließen. SOAD sind weit über das Ziel hinausgeschossen, aber wer kann sie bremsen? Auf das Livekonzert am 9. Juni in Nickelsdorf beim Nova Rock darf man allerdings gespannt sein.

Ernst Meyer

System Of A Down - Mezmerize

ØØØ


American/Sony BMG (USA 2005)

 

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