Musik_Sommernachtskonzert Schönbrunn 2008

Raindrops keep falling ...

Neben der dummen und längst wieder vergessenen Euro 2008 brachte der Frühsommer auch Konzertereignisse in Schönbrunn. Da gab es eine Werbeveranstaltung der Philharmoniker, einen höchst entbehrlichen Auftritt sogenannter Opernstars - und eine wirklich seriöse und begeisternde Veranstaltung mit Georges Pretre und den Philharmonikern.    11.09.2008

Was Philharmoniker-Vorstand Clemens Hellsberg vollmundig im Beiheft der CD als erstes "Sommernachtskonzert Schönbrunn" bezeichnet, ist in Wahrheit die Wiederauflage des "Konzerts für Europa". Aus Marketing-technischen Gründen benannte man das Konzert offenbar um und produzierte einen Mitschnitt für die CD- und DVD-Auswertung. Titel hin, Titel her - was das Konzert beibehalten hat, ist die Tradition des Auftritts im strömenden Regen. Bis auf das im vergangenen Jahr hat es noch jedes Konzert erheblich verregnet.

Die Veranstalter konnten als Dirigenten den französischen Maestro Georges Pretre gewinnen, der heuer auch beim Neujahrskonzert 2008 debütierte und in Schönbrunn brillierte. Pretre führte die Philharmoniker durch ein französisch-österreichisch-spanisches Programm, angefangen vom "Wiener Blut"-Walzer über die "Rosenkavalier"-Suite, Chabriers "Espana" und die Barcarole aus "Hoffmanns Erzählungen" bis hin zu Ravels "La Valse". Die musikalische Europareise endete schließlich bei den Zugaben, wo vor allem Berliozs "Rakoczi-Marsch" aus "Fausts Verdammnis" und die "Orpheus-Quadrille" von Johann Strauß Sohn begeisterten. Letzteres Werk war auch beim Neujahrskonzert 2008 unter Pretre zu hören.

Wer den Dirigenten kennt, weiß, daß er Spezialist für Ritartandi, Rubati und impulsive Temporückungen ist. Dazu braucht er ein Orchester in der Klasse der Philharmoniker. Die Musiker folgen dem Maestro auf jeden Wink und setzen seine Wünsche gekonnt um. Trotz der Qualität des Orchesters dümpeln manche Stücke jedoch extrem am Rand der "Ungenauigkeit" - wie eine Gratwanderung, bei der manche Schritte absturzgefährdet sind. Enttäuschend langweilig und unpräzise ist etwa das ansonsten spritzige "Espana" von Emanuel Chabrier; das hätte man sich von Pretre und diesem Orchester weit interessanter gewünscht. Einzigartig klingen dafür die "Rosenkavalier-Suite", der "Wiener Blut"-Walzer und vor allem die "Barcarole", die man noch selten so einfühlsam, schön und trotzdem frei von Zuckerguß oder Kitsch gehört hat.

Ein großes Lob gebührt auch der Aufnahmetechnik. Im Vergleich zum Neujahrskonzert 2008, das sich wie ein halliger Mischmasch anhört, ist das Schönbrunner Konzert trotz der schwierigen Umstände (Freiluft) phänomenal gelungen. Die Musik klingt transparent, hochdynamisch und wunderbar räumlich.

 

Klassikfreunde, die auch elektronische Musik, House und Rock lieben, sollten sich übrigens auch für die neue CD "Beethoven Re:loaded" der Universal interessieren. Der Salzburger Stefan Obermaier hat nach seiner CD "Mozart-Lounge" nun Musik von Ludwig van Beethoven elektrifiziert. Der junge Musiker samplete und bearbeitete bekannte Klassikaufnahmen wie etwa die 5. Symphonie unter Eugen Jochum oder die "Pastorale" unter Rafael Kubelik, sodaß sie völlig neu klingen, ohne ihren Charakter zu verlieren. Obermaier gelang dabei der Spagat, Klassik mit rein elektronischen Mitteln in Techno zu verwandeln; die Musik wird zu guter Hintergrundmusik, ohne an Wirkung und Qualität zu verlieren.

Herbert Hiess

Wiener Philharmoniker/Georges Pretre - Sommernachtskonzert Schönbrunn

ØØØØ

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Universal (Ö 2008)

 

Werke von Johann Strauß Sohn, Richard Strauss, Emanuel Chabrier, Jacques Offenbach, Maurice Ravel, Hector Berlioz und Leroy Anderson

Links:

Stefan Obermaier - Beethoven Re:loaded

ØØØØØ

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Universal (Ö 2008)

Links:

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