Musik_Sparklehorse - Dreamt for Light Years ...

Ein Funkeln im Regen

Mark Linkous präsentiert nach fünfjähriger Pause ein neues Album. Und das Warten hat sich tatsächlich gelohnt: Es ist seine bisher beste Platte.    07.12.2006

Eigentlich ist es ein Wunder, daß Mark Linkous überhaupt noch Musik macht. Viele Jahre litt er an den Folgen einer Drogenvergiftung, die er sich schon 1995 auf einer Tournee zugezogen hatte; zeitweise war er sogar an den Rollstuhl gefesselt. Aus dieser Zerissenheit zwischen Drogenmißbrauch, Schuldgefühlen und Depression heraus entstanden 1999 das vor selbstzerstörerischen Gefühlen geradezu strotzende "Good Morning Spider" und 2001 das vielgerühmte Nachfolgealbum "It´s a Wonderful Life".

Danach folgte der totale Blackout. Mark beschloß, dem Rauschgift zu entsagen - doch statt sich jetzt erst recht der musikalischen Arbeit zu widmen, gab er auch die auf. Wären da nicht gute Freunde wie etwa PJ Harvey oder Cardigans-Sängerin Nina Persson gewesen, die ihm unermüdlich gut zuredeten, hätte er vielleicht nie wieder auch nur einen einzigen Song geschrieben.

Und das wäre für die gesamte Singer/Songwriter-Szene ein unersetzbarer Verlust gewesen. Linkous vertritt nämlich eine Musikrichtung, die es heute kaum noch gibt: Er mischt mittelalterlichen Bänkelgesang mit modernem Folk, rührt allerlei obskures Analog-Equipment hinein und garniert sein Œuvre reichlich mit Psychedelia der frühen 60er Jahre. Das mag dem einen oder anderen vielleicht bekannt vorkommen - der Mann ist zwar Amerikaner, steht aber er in der aus Südostengland stammenden Tradition der "Canterbury Music". Wenn Linkous also nicht zur falschen Zeit geboren ist, dann zumindest am falschen Ort. Es finden sich heutzutage kaum noch Ausläufer dieser von Musikern wie Kevin Ayers (Soft Machine, Gong), Chris Cutler (Ottawa Music Company), John Greaves (National Health) oder Peter Blegvad begründeten "Schule".

Mit seiner mittelalterlichen Folklore, den manchmal fast spielerisch-naiv anmutenden Harmonieabfolgen und der einmal nasal, dann wieder gesprochenen Stimme erscheint Mark in unserem technikbesessenen, durch sterilen Konsumzwang gebrandmarkten Jahrzehnt wie ein Zeitreisender aus einer andern Epoche. Kein Wunder, daß sich so einer in unserer Gegenwart unwohl fühlt und zumindest mittels seiner Musik Zeiten heraufbeschwört, in denen Mensch und Natur noch eine Einheit bildeten und Romantik nicht nur als abgegriffene Schablone für TV-Soap-Operas diente.

Linkous zelebriert in seinen Songs nichts weniger als das wahre Leben. Er erzählt alle möglichen kleinen Geschichten - vom Entschwinden der Geliebten bis zur Trauer über den Zerfall des eigenen Körpers. Dabei verwendet er die gesamte Bandbreite menschlichen Schmerzes als Farbpalette für seine Kompositionen. Und nebenbei kann der aufmerksame Hörer auch noch die musikalischen Wurzeln des Mannes heraushören, die zum Teil in obenerwähnter Szene liegen.

 

Der Opener der neuen Linkous- alias Sparklehorse-Platte "Dreamt For Light Years In The Belly Of A Mountain" heißt "Don´t Take My Sunshine Away" und zitiert musikalisch den Beatles-LSD-Trip-Klassiker "Lucy In The Sky With Diamonds". Dieses Zitat dürfte auch das Lebensgefühl des Herrn Linkous ganz gut beschreiben: Nach langem Tiefschlaf erhebt er sich wieder, um querbeet durch Gitarrenmusikstile der vergangenen 40 Jahre zu galoppieren.

Auf "Shade and Honey" winken uns etwa The Velvet Underground freundlich zu, auf anderen Tracks wiederum springen die Pixies oder zumindest Frank Black im Hintergrund herum. Angeblich soll ja auch Herr Fennesz dem opulenten Werk ein paar seiner Laptop-Schnipsel beigesteuert haben; eine Live-Kollaboration ist jedenfalls geplant. Den Abschluß von "Dreamt for Light Years ..." bildet ein Instrumental-Lamento im Stil der unvergessenen 4AD-Truppe This Mortal Coil.

Soviel Abwechslung auf einem Album ist heutzutage fast undenkbar und verdient eine gesonderte Erwähnung. Linkous´ Herangehensweise im Studio stimmt mit der jedes Solo-Multi-Instrumentalisten überein, der nur zwei Möglichkeiten hat: Entweder er spielt alle Instrumente selbst und holt sich das Schlagzeug aus dem Drumcomputer oder Sampler (wie sein englischer Kollege Capitol K), oder er nimmt die unterschiedlichen Parts mit wechselnden Studiopartnern auf (wie sein australisches Neopsychodelia-Pendant Clue to Kalo). Doch wo Capitol K zu eckig/digital und Clue to Kalo zu manieriert geraten, dringt bei Sparklehorse ein geradezu brutaler Wille zur Popmusik durch. Und das ist gut, weil dadurch seine Kompositionen auch einer breiteren, eher an klassischem Gitarrenpop interessierten Masse zugänglich werden.

Besondere Empfehlung!

Ernst Meyer

Sparklehorse - Dreamt For Light Years In The Belly Of A Mountain

ØØØØØ


Capitol/EMI (USA 2006)

 

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