Musik_Colori d'Amore

Virtuoser Barockzauber

Der EVOLVER-Klassikexperte hatte die Gelegenheit, anläßlich der Proben zur konzertanten Aufführung einer Meyerbeer-Oper im Wiener Konzerthaus mit der charismatischen deutschen Sopranistin Simone Kermes zu plaudern. Sie hat gerade eine hervorragende Barock-CD mit Wien-Bezug herausgebracht - und erzählt, warum sie gerade diese Musik so liebt.    09.11.2010

Die in Leipzig geborene Sopranistin Simone Kermes erlebte ihre Jugend hinter dem Eisernen Vorhang und genoß trotz aller Nachteile des politischen Systems eine fundierte musikalische Grundausbildung. Kunst, Kultur und Sport waren "diesem Regime immer ein Anliegen", wie sie betont. Die Zukunft der klassischen Musik (vor allem in Bezug auf Kinder und Jugendliche) sieht sie jedoch skeptisch: "Ich habe immer das Gefühlt, daß die jungen Leute eigentlich diese Musik wollen und auch auf ein Zeichen warten, daß etwas passiert." Passieren müsse allerdings etwas im Hinblick auf eine Umwandlung der Gesellschaft. In Zeiten von "Deutschland sucht den Superstar" und all den anderen Dummvarianten von Casting-Shows haben die jungen Leute "gar keine Chance, sich gegen diesen Strom zu wehren", sagt die Sängerin.

Der mediale Unfug hat auch immer mehr zur Folge, daß sich bei Opernaufführungen alles (inklusive der Berichterstattung im Feuilleton) immer mehr um die Regie dreht als um die musikalische Qualität. Das geht mittlerweile so weit, daß schon oft "per Vertrag (!) der Regisseur die Besetzung bestimmen kann und nicht der Dirigent. Und das ist ja an sich schon pervers. Das ist auch der Grund, warum ich manchmal lieber konzertante Aufführungen mache als irgendwelche szenischen, hinter denen ich nicht stehen kann", wird Kermes sehr deutlich.

 

Wie weit Regisseure ihre (eigenartige) Macht gegen (persönlichkeitsschwache) Dirigenten auskosten, war unlängst sowohl in München bei "Rusalka" und in Wien bei "Cardillac" festzustellen. Hier tauschten die Herren Kusej und Bechtolf einfach Sängerinnen aus, weil sie ihnen vielleicht persönlich und figürlich nicht ins Konzept paßten. (Anm. d. Autors)


Authentizität und Ehrlichkeit sind Simone Kermes besonders wichtig. "Ohne diese beiden Dinge kann man eigentlich keine wirklich gute Aufführung liefern", sagt sie. "Und schließlich sollte sich jeder und jede am nächsten Tag in den Spiegel schauen können."

Authentisch und von einer sehr starken, ehrlichen Persönlichkeit getragen ist auch ihre neue CD mit dem Titel "Colori d’Amore" ("Farben der Liebe"). Ganze 12 der 13 darauf enthaltenen Nummern sind Tonträger-Weltpremieren. Und bei allen der vertretenen italienischen Komponisten aus dem 17. und 18. Jahrhundert existiert auch ein Österreich-Bezug, da die Künstler durch die Kaiser Leopold I., Joseph I. und Karl VI. außerordentlich gefördert wurden. Außerordentlich sind auch die Kompositionen, vor allem die von Alessandro Scarlatti und Giovanni Bononcini. Als besonderer Ohrwurm fällt das "Ombra mai fu" aus "Xerxes" von Bononcini auf. Richtig gelesen - das ist keine Verwechslung. Die auch als "Largo" bezeichnete Nummer stammt eigentlich von Bononcini und wurde 1694 uraufgeführt. Georg Friedrich Händel hat den Ohrwurm später adaptiert und in seine Oper integriert.

Simone Kermes singt auch alle anderen Nummern großartig; ihr heller Sopran ist äußerst flexibel und biegsam, und sie vergißt bei aller Virtuosität niemals auf den Ausdruck. Besonders brillant ist die mit Extremkoloraturen gepfefferte Arie "Ondeggianto, agitato" von Alessandro Scarlatti. Hier liefert sich die Sängerin zweieinhalb Minuten lang einen Wettkampf mit der Solotrompete - der übrigens ex aequo endet.

Auch das Originalklangorchester Le Musiche Nove unter Claudio Osele, das auf der CD zu hören ist, beeindruckt durch äußerst hohe Qualität. Das aus 17 Mitgliedern bestehende Ensemble (größtenteils Italiener) begleitet die deutsche Sopranistin hochsensibel und kunstvoll. Interessant, daß die Musiker trotz auf Originalklang nachgebauten Instrumenten die Stimmung A = 440 Hz halten. Normalerweise haben Originalinstrumente etwa A = 435 Hz.

"Colori d’Amore" darf als Meilenstein in der Karriere von Frau Kermes gelten. "Diese Musik erlaubt mir, ganz authentisch und mit Herz meine Gefühle zu zeigen", wie die Künstlerin sagt. "Deswegen liebe ich diese Musik so sehr."

Schöner kann man es gar nicht formulieren.

Herbert Hiess

Colori d’Amore

ØØØØØ

Leserbewertung: (bewerten)

Simone Kermes

 

Werke von Alessandro Scarlatti, Giovanni Bononcini, Antonio Caldara, Nicola Matteis und Riccardo Broschi 

 

Le Musiche Nove/Claudio Osele

 

Sony (D 2010)

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