Musik_Simon Schall - Mit Ach und Krach

Es lebe die Retro-Welle

Nachdem sich in jüngster Zeit etliche Elektronik-Urväter aus der Gruft erhoben haben, drängt nun auch eine junge Generation kraftvoll in die vorderen Reihen.    28.07.2004

Simon Schall ist das Einmannprojekt eines jungen Wieners, der mit "Ach und Krach" seine erste Musikveröffentlichung vorlegt. Erschienen ist das Album auf dem Salzburger Label Steinklang, berühmt-berüchtigt für seine manchmal etwas zweifelhaften Band-Namen und Cover-Gestaltungen. Diese Platte jedoch besticht durch simples Retro-Artwork ohne jeglichen Schnickschnack und mit minimaler Information.

Aus einer ganzen Menge aufgenommenen Materials wurden zehn Stücke ausgewählt, die allesamt so nette Titel wie "Die Spielerei", "Die Fehlfunktion" oder "Der Tinnitus" tragen. Der Sound dazu variiert von fast poppig anmutendem Elektro bis zu harschen Power-Electronics. Genau dort ist das Album auch anzusiedeln, wenn eine Schublade unbedingt gebraucht wird.

Schall ist offensichtlich in die klassische Schule der zweiten Industrial-Generation gegangen. All die großen Namen dieser Szene klingen in seinen Stücken durch, wobei drei Bands wohl den größten Einfluß gehabt haben dürften: die spanischen Elektro-Pioniere Esplendor Geometrico, das deutsche Düsterduo Haus Arafna und der umtriebige Belgier Dirk Ivens, auch bekannt als Klinik, Dive oder Sonar. Fast alle Titel sind rhythmisch strukturiert, wobei einige zu lärmigen Noise-Attacken werden, andere wiederum, wie das Highlight des vorliegenden Albums, "Das Vöglein", schon eher an DAF oder sogar die Neue Deutsche Welle erinnern. Schall singt darauf in deutscher Sprache - und man muß es ihm dabei hoch anrechnen, daß er nicht den Fehler macht, mit böse-verzerrter Stimme irgendwelche provokanten Phrasen zu intonieren, um das geneigte Publikum zu schockieren.

Überhaupt ist der Grundtenor von "Ach und Krach" eigentlich ein angenehmer: Es gibt keine Attacken auf empfindliche Gehörsknöchelchen und keine abgedroschenen Klischees, wie sie in dieser Musikszene leider so oft zu finden sind. Bleibt abzuwarten, was der junge Mann als nächstes abliefern wird. Sein Debüt ist jedenfalls eine mehr als willkommene positive Überraschung, die hoffentlich auch dazu beitragen kann, die politischen Stigmata, mit denen die Industrial-Kultur leider assoziiert wird, ein wenig abzutragen.

 

Walter Robotka

Simon Schall - Mit Ach und Krach

ØØØØ


Steinklang (Ö 2004)

 

erhältlich bei Mord + Musik

 

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