Musik_Schubert und Rameau in Wien
Lyrische Talente
Vor kurzem bot das Theater an der Wien ein musikalisches Wochenende von besonderem Rang. Während am Samstag Les Talens Lyriques überragend Rameaus Vertonung der mythologischen Geschichte der Brüder Castor und Pollux erzählten, setzte am Sonntag der englische Tenor Mark Padmore seinen Schubert-Zyklus fort. Der EVOLVER-Klassikexperte erklärt, warum der Sänger auf direktem Weg in den "Schubert-Olymp" ist.
05.02.2011
Mit Jean-Philippe Rameaus Oper "Castor und Pollux" setzte das Barockorchester Les Talens Lyriques den Rameau-Schwerpunkt im Theater an der Wien fort. Schon das Eröffnungskonzert mit William Christie machte auf den französischen Komponisten neugierig; mit der jetzigen Aufführungsserie weiß man erst, was das Wiener Publikum bisher versäumt hat. Außer ein paar halbherzigen Aufführungsversuchen und einigen wenigen konzertanten Darbietungen war in den vergangenen Jahrzehnten in der "Musikhauptstadt" nichts von dem spätbarocken Komponisten zu vernehmen.
Rameaus Oper wurde 1737 in Paris uraufgeführt; in Wien spielte man die revidierte Fassung von 1754. Man kann daher kaum mehr von Barockmusik, sondern muß vielmehr von "Sturm und Drang" (oder sogar Frühklassik) sprechen. Die Musik des Komponisten hat absolut nicht mehr das barocke musikalische Korsett wie bei G. F. Händels Werken; sie wurde in Form, Rhythmus und Umfang total "frei" komponiert. Natürlich folgte Rameau als Hofkomponist von Ludwig XV. der höfischen Tradition und machte aus der Oper zum Großteil ein Ballett. Kein Komponist, der in Frankreich reüssieren wollte, konnte darauf verzichten - sogar Verdi mußte alle Opern, die er in Paris aufführte, mit ausreichend Tänzerischem ausstatten.
Die Regisseuse Mariame Clément verfiel bei ihrer Inszenierung zum Glück niemals in Tanzorgien; sie nutzte die Musik vielmehr für die Darstellung von pantomimischen Elementen. So sah man immer wieder die zwei Brüder als kleine Buben bzw. als Jugendliche und bekam dadurch viel mehr Einblick in die Geschichte des dioskurischen Zwillingspaares. Hier ist Télaire in den sterblichen Castor unsterblich verliebt - und ihre Schwester Phébé, die ihn ebenso begehrt, schmiedet aus Eifersucht Rachepläne und läßt Castor umbringen. Mit Hilfe von Pollux’ Vater Jupiter (= Zeus) will sich der Unsterbliche opfern, um Castor wieder ins irdische Reich zu holen. Aber Jupiter ist von der Bruderliebe so entzückt, daß letztlich beide Brüder dem irdischen Dasein entsagen und in himmlische Gefilde wandern.
Das französische Barockensemble unter dem Spezialisten Christophe Rousset und die hervorragenden Solisten, von denen keiner extra genannt zu werden braucht, haben an diesem Abend exzellent musiziert. Obwohl man sich die Regie etwas farbiger hätte vorstellen können, war sie doch die beste Möglichkeit, diese Oper auf die Bühne zu bringen.
Am Tag darauf bestieg der englische Tenor Mark Padmore wieder einmal den Schubert-Olymp (um gleich bei der Mythologie zu bleiben). Nach der großartigen "Schönen Müllerin" faszinierte der Sänger das Publikum mit Beethoven-Liedern und dem Zyklus "Der Schwanengesang".
Dieser Zyklus ist mehr eine Sammlung von Liedern als ein thematischer Block wie die "Müllerin" oder die "Winterreise". Aber mit solchen "Hits" wie "Bildnis", "Ständchen" oder der "Taubenpost" kann man auch ein distinguiertes Publikum in Entzücken versetzen - zumal der Sänger über eine bessere deutsche Diktion verfügt als so mancher muttersprachliche Sangeskollege. Musikalisch befindet sich Padmore ohnehin am Gipfel seines Könnens. Vor der Pause hörte mal nach langer Zeit wieder einmal Beethoven-Lieder und durfte staunen, wie berührend der Komponist Gefühle von Natur, Liebe und Hoffnung in Töne umzusetzen wußte.
Mit dem Pianisten Till Fellner bildet Padmore sozusagen ein Schubert-"Dream Team". Da kann man sich nur auf den 20. Februar freuen, wenn die beiden Schuberts "Winterreise" zum Klingen bringen werden.
Herbert Hiess
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