Musik_Richard Wagner - Tristan und Isolde

Der Tristan und sei Oide

Diese CD-Box ist wahrscheinlich die letzte traditionelle Studioaufnahme der Wagner-Oper - und ein Andenken an den vor einem Jahr verstorbenen Dirigenten Carlos Kleiber.    22.09.2005

Wagners Liebesdrama "Tristan und Isolde" wird selbst von Klassikfreunden gern als "schwerer Brocken" bezeichnet - und erfordert mit seiner etwa vierstündigen Spielzeit tatsächlich eine Menge Geduld. Bei der vorliegenden Produktion jedoch vergißt man alle Strapazen und kann sich ganz dem Hörgenuß hingeben. Außerdem hat die CD-Version gegenüber dem Opernbesuch bekanntlich den Vorteil, daß man das Werk nach Lust und Laune "portionsweise" genießen und zwischendurch auch einmal einen Ausflug aufs Klo wagen kann. Übrigens: Für die Leute, die beim Hören unbedingt auch ihre Augen beschäftigen müssen, enthält die Box eine DVD mit DTS-5.1.-Surround-Sound und dazu noch die Partitur zum Mitlesen.

"Tristan und Isolde" ist eine Oper, die bereits von vielen Meisterdirigenten wie Herbert von Karajan, Leonard Bernstein oder Carlos Kleiber interpretiert wurde (Kleibers Aufnahme war die letzte wesentliche Einspielung). Die bisher letzte veröffentlichte Aufnahme stammt aus dem Vorjahr und der Wiener Staatsoper, wo sie vom deutschen Stardirigenten Christian Thielemann grandios realisiert wurde. Leider sorgten die Aufnahmetechnik und einige ungeeignete Sänger dafür, daß Thielemanns Opernerstling auf CD trotzdem ein Flop wurde ...

Im Gegensatz dazu ist die soeben neuveröffentlichte "Tristan"-Box eine Bereicherung für jede Klassiksammlung und gleich in mehrfacher Hinsicht eine Premiere. Startenor Placido Domingo und die Schwedin Nina Stemme feiern darin ihr Rollendebüt als ein dem Tod geweihtes Liebespaar, und Antonio Pappano leitet sein Ensemble der Covent Garden Opera zu London. Domingo stellt sich mit der vorliegenden Aufnahme als einer der besten Wagnertenöre heraus - nicht nur aus heutiger Sicht, sondern überhaupt. Stemme überzeugt durch ihre glockenklare und intensive Interpretation. Anscheinend ist Schweden ein Reservoir für Wagner-Heroinen (siehe auch Birgit Nilsson).

Die Plattenfirma EMI griff für ihre angeblich letzte traditionelle Studioproduktion (die Carlos Kleiber gewidmet ist) tief in den Geldkoffer und fand das Beste gerade gut genug. Für die Nebenrollen "Der Hirt" und "Der junge Seemann" engagierte man die recht bekannten Sänger Ian Bostridge und Rolando Villazón – letzterer trat 2005 in Salzburg mit Anna Netrebko in "La Traviata" auf. Die anderen Hauptrollen sind mit dem hervorragenden René Pape als Marke und Mihoko Fujimura als Brangäne besetzt. Die Japanerin hat zwar eine wunderschöne Altstimme, kann aber in Sachen Intensität, Ausdruck und Wortdeutlichkeit keineswegs mit den Stars der Produktion mithalten.

Antonio Pappano ist sicher kein Meisterdirigent wie Karajan oder Bernstein, behauptet sich jedoch wacker und schafft es, eine dichte Atmosphäre und Spannung aufzubauen und vor allem zu halten.

Christian Thielemanns Dirigat hingegen kann trotz schlechter Aufnahmetechnik viel mehr überzeugen - vor allem, was Sinnlichkeit und Intensität betrifft. Man darf sich also schon auf die "Parsifal"-Produktion freuen, die im Juni 2005 in der Wiener Staatsoper gemeinsam mit Placido Domingo entstanden ist ...

Herbert Hiess

Richard Wagner - Tristan und Isolde

ØØØØ


EMI (D 2005)

Orchester des Royal Opera House/Antonio Pappano

 

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