Musik_Ravel/Debussy - Shéhérazade

Das ist Brutalität ...

Wenn man erleben will, wie zwei französische Meisterkomponisten in einer eigenartigen Werkauswahl gegeneinander antreten, dann sollte man sich diese CD anhören.    28.04.2004

Französischer Impressionismus hin, Expressionismus her: Musikkennern ist bekannt, daß sowohl Ravel als auch Debussy in ihren Schaffensperioden zu beiden Stilrichtungen tendierten. Man sagte den beiden Komponisten immer Gemeinsamkeiten nach, die jedoch bestenfalls am Anfang ihrer Karrieren existierten; dann entfernten sie sich geradezu diametral voneinander. Ravel behielt einen zwar impressionistisch anmutenden, dennoch immer klaren Kompositionsstil bei, bei dem Form und Richtung eines Werks immer klar erkennbar sind. Debussy hingegen schwankte immer mehr in Richtung Expressionismus, was man vor allem seinen Klavierwerken anmerkt. Auf jeden Fall war er sicher kein großer Anhänger klar strukturierter Formen.

Die vorliegende CD wurde klar erkennbar von Pierre Boulez himself programmiert, was eine für Normalsterbliche schwer nachvollziehbare Titelauswahl bedingt. Fängt die Scheibe mit Ravels "Shéhérazade" noch schön klassisch-impressionistisch an, kommen dann mit "Le Tombeau de Couperin" und "Menuet antique" am Barock orientierte Stimmungsbilder. Die "Pavane" wiederum ist eine meisterhafte Orchestrierung seiner eigenen grandiosen Klavierwerke.

Die eingespielten Debussy-Werke lassen diesen Komponisten hier wiederum nicht so gut aussehen. Alle drei Stücke, ob die "Danses" für Harfe und Streichorchester oder die Balladen bzw. das Lied, zeigen ihn nicht von seiner besten Seite. Natürlich ist das alles Geschmackssache, aber an "La Mer" oder sein "Prelude" reicht das hier Gebotene bei weitem nicht heran.

Unbestritten sind die interpretatorischen Qualitäten. Boulez versteht es, aus dem Cleveland Orchestra jede kleinste Nuance zu modellieren; die "Pavane" ist zum Beispiel eine der besten Interpretationen, die es derzeit zu hören gibt. Anne Sofie von Otter führt eindrucksvoll durch Sindbads Abenteuer, Alison Hagley ist die Interpretin der Debussy-Lieder - sie besitzt einen wunderbar leuchtenden Sopran und könnte bei anderen Werken sicher noch mehr Eindruck schinden. Wer sich mit vier hervorragend interpretierten Ravel-Stücken zufrieden gibt und/oder ein Hardcore-Debussy-Liebhaber ist, dem sei diese CD jedenfalls ans Herz gelegt.

Herbert Hiess

Ravel/Debussy - Shéhérazade/Trois Ballades de Villon u. a.

ØØØØ


Anne Sofie von Otter (Mezzosopran), Alison Hagley (Sopran), Lisa Wellbaum (Harfe)

The Cleveland Orchestra; Pierre Boulez

 

Deutsche Grammophon/Universal (D 2004)

 

Links:

Kommentare_

Musik
Weihnachtliche Musiktips im Corona-Jahr

Geschenktips für Klassikfreunde

Hören darf man heuer auch ganz ohne Maske. Grund genug für den EVOLVER-Klassikexperten Herbert Hiess, seine Musiktips für die Weihnachtszeit unter den virtuellen Christbaum zu legen.  

Musik
Orchesterkonzert der Wiener Philharmoniker

Seltsame Zeiten

Nicht nur Thomas Angyan, der zukünftige Ex-Chef des Wiener Musikvereins, hätte sich den Abschluß seiner Karriere - ebenso wie Staatsoperndirektor Dominique Meyer - anders vorgestellt. Wie so viele Kulturschaffende gingen beide der angeblichen Pandemie in die Falle.  

Print
Rudolf Buchbinder im Interview

Reise durch den Beethoven-Kosmos

Wer Rudolf Buchbinder ist, braucht man eigentlich niemandem mehr zu erklären. Der sich im 74. Lebensjahr befindende Star-Pianist ist in Kulturkreisen weltweit ein Begriff - und vor allem in Sachen Beethoven eine Kapazität, an der man nicht vorbeigehen kann und darf.  

Musik
Wiederaufnahme in der Berliner Staatsoper

Carmen in der Corona-Krise

Pech oder Schicksal - wie auch immer man es bezeichnen mag: Daß die großartige Berliner "Carmen" schon nach der zweiten Aufführung von Amts wegen gestoppt werden musste, hätte sich niemand gedacht. Jetzt kann man sie wohl einige Zeit nur als Stream oder Aufzeichnung betrachten. Die Staatsoper unter den Linden zeigt mit ihr jedenfalls, daß sie dank ihrer hervorragenden Musiker viele der angeblichen Spitzenhäuser übertrifft.  

Stories
"Der Vorname" in den Kammerspielen

Makabre Wohnzimmerkomödie

Wie Political Correctness als brutale Verlogenheit entlarvbar ist, zeigt das Stück "Der Vorname" des Autorenduos Patellière und Delaporte. Herbert Hiess hat es in den Kammerspielen erlebt.  

Musik
Last-Minute-Ideen für Klassikliebhaber

Weihnachtliche CD-Tips aus Wien

Alle Jahre wieder ... kommt nicht nur das Christuskind, sondern auch der "Streß", der oft zu Geschenkskäufen in letzter Minute führt. Um Verlegenheitsgaben wie Socken oder Bonbonnieren zu umgehen, hat der EVOLVER-Klassikexperte einige Tips zusammengestellt, die nicht nur eingefleischten Klassikliebhabern Freude bereiten werden.