Musik_Punk Rock BRD

Punk-Propyläen

Die mehr als ein Vierteljahrhundert alte Drei-Akkord-Bewegung erfaßte recht bald auch deutsche Musiker. Und sie läßt bis heute nicht nach, wie man auf drei Compilation-CDs hören kann.    19.12.2003

Weihnachtszeit. Plattenmanager kompilieren mit verstärktem Speichelfluß. Anthologien, Best-of- und Jahresrückblick-Sampler sollen ratlosen Konsumgefangenen die Entscheidung für das richtige Geschenk erleichtern. An sich ist der Konsumirrsinn also ein ziemlich schlechter Zeitpunkt für eine ernstgemeinte Sammlung von 50 Songs. Doch bei "Punk Rock BRD" ist das verfehlte Timing zu entschuldigen. Die "amtliche History von Punk in Deutschland" dürfte unter allen in dieser Netzzeitschrift besprochenen Compilations wohl die unwahrscheinlichste Tannenbaumgarnitur sein. (Außerdem war der offizielle Erscheinungstag schon Anfang Oktober.)

Von 1977 bis heute umfaßt die Zeitspanne, aus der die Songs der drei CDs umfassenden Sammlung deutscher Punkbands stammen. Das Label Weird System steckte Songs aller großen, wichtigen und einflußreichen Formationen auf den Sampler. Das ergibt eine skurrile Besetzung mit Megasellern wie den Ärzten oder den Toten Hosen, szene- und landesweit erfolgreichen Acts wie Dritte Wahl, Terrorgruppe oder WIZO, aber auch abgefuckten und somit höchst authentischen Krachmachern wie Schleim-Keim, Knochenfabrik oder Rasta Knast. Doch keine der genannten Bands würde den Kauf rechtfertigen - die Darstellung der letzten dreizehn Jahre (CD Nr. 3) dient mehr zur Vervollständigung und enthält kaum wirkliche Hits. Außerdem wird dem Thema "Punk im Osten" nur sehr wenig Raum gegeben; von Bands aus den neuen Ländern bekommen wir ganze zwei Tracks zu hören. Feeling B oder Die Firma, bei denen Rammstein-Musiker gespielt haben, tauchen ebensowenig auf wie Fluchtweg oder N.O.E., die bei den Punks zwischen Rostock und Dresden ungeheuer beliebt waren oder noch sind.

Ganz anders verhält es sich mit den beiden historischen Teilen des Samplers. Die zweite CD (1983-1989) enthält die echten Klassiker, die zwischen Agitation, Prollkult und zerdrückten Bierdosen die Hochzeit der Jugendbewegung musikalisch dokumentieren. Mit den Spermbirds und Jingo de Lunch sind außerdem zwei englischsingende Bands vertreten, die an den Grenzen des Genres für eine Modernisierung des Punk in der BRD sorgten. Die erste CD (1977-1982) enthält mit Toxoplasma, HASS, Daily Terror, Chaos-Z oder Abwärts die Gottväter des Lederjackenaufnähers. Hier ist der geneigte Hörer besonders dankbar für die - für einen Sampler ungewöhnliche - Beigabe der Lyrics. Scheppernde Produktion und eher undeutliche Phrasierung verschlechtern nämlich die Verständlichkeit des gesungenen Wortes zugunsten eines abgefuckten Gesamt-Sounds.

Dank des punkesken Preises ist "Punk Rock BRD" ein guter Tip für alle Freunde deutschsprachiger Rockmusik, denn mit der Compilation wird nicht nur die Geschichte von Punk dokumentiert. Als Weihnachtsgeschenk taugt sie aber kaum - Punk unterm Tannenbaum, das paßt ganz einfach nicht.

Benny Denes