Placebo - Meds
ØØØØ
Virgin/EMI (GB 2006)
Das fünfte Studioalbum der gruftigen Briten zeigt Brian Molko einmal mehr im Strudel ungesunden Weltschmerzes und überrascht durch aufgefrischten Sound. 19.04.2006
Kaum eine andere Band der vergangenen paar Jahre polarisiert so stark wie Placebo. Die britische Formation rund um den charismatischen Sänger Brian Molko schaffte es spielend, zur Kult-Band der "Collapsing New People" zu avancieren. Kein Wunder: Placebo treffen mit ihren traurigen Kraftballaden um verlorene Liebe, Einsamkeit, Isolation und Drogenmißbrauch genau ins Herz ihrer Fan-Gemeinde.
Manch älteres Goth-Semester erinnert sich ob Brians markantem Gesangsstil vielleicht an Bauhaus oder The Cure. Doch zweitere waren nie so rockig, und erstere hatten schlicht bessere Texte.
Auf ihrem ersten Alben waren Placebo noch eine Mischung aus Punk, Gruft-Rock und pomadegetränktem Dandy-Wave. Doch spätestens seit "Black Market Music" (2000) definierten Placebo ihren eigenen Stil, der auf "Sleeping With Ghosts" (2003) seinen Höhepunkt fand. Molkos exaltierter Gesang inspirierte ganz nebenbei viele andere Bands, in eine ähnliche Kerbe zu schlagen: Verzweiflung verpackt in romantische Lyrics, gezuckert mit eruptiv gespielten Hardrock-Gitarren.
Was Placebo unter all ihren Epigonen noch immer als Original unverkennbar macht, ist eben Molkos typischer Gesangsstil.
Manierlich achtet er beim Schreiben seiner Lyrics darauf, daß die Zeilen mit Vokabeln abschließen, die mit "uuuu" enden - also: you, do, shampoo etc. Oder auf "eeeiiiii": why, cry, sigh, high usw. Molko verwandelt dann diese Worte beim Singen in langgezogene Heuler, wobei er deren Vokale sehr gerne mit langem Atem einige Töne hinaufzieht: doo-hoo, you-hooo oder wha-hayyiii, heeeiii-iiii. Dieser markante Trick prägt Placebos Sound mehr als alle gespielten Instrumente.
Davon finden sich auf "Meds" dennoch reichlich. Überhaupt wirkt Placebos Sound irgendwie aufgemöbelt und frisch - und das, obwohl sie 2005 fast ständig auf Tour waren. Wo kommt aber der "neue" Sound her? Ein Blick auf die Credits verrät: Erstmals ließen sich Placebo von Dimitri Tikovoi (der unter anderem Goldfrapp remixte) produzieren; doch hinter den Reglern stand jemand, der schon Größen wie Depeche Mode oder U2 betreute: Studiolegende Flood half bei der Klangauswahl kräftig mit: Statt schroff gespielter Metal-Klampfe steht neuerdings die klassische 12-String in Placebos Maschinenpark. Daran liegt es auch, daß einige Songs wie etwa "Infra-Red" frappant an "Playing The Angel" von Depeche Mode erinnern, nicht nur im Intro.
Neu sind auch die Duette. Schon der Opener begeistert durch Alison Mossharts (VV von The Kills) Konterpart. "Did you forget to take your meds?" fragt Molko und versucht in seiner Einsamkeit gegen das Vergessen anzukämpfen. Ja, wer seine Antidepressiva vergißt, kann mitunter das Gefühl bekommen, daß sein Gehirn nicht mehr richtig funktioniert. In dem Song "Infra-Red" verwandelt sich der Erzähler in einen Werwolf ("I can see in the dark"). Während er auf der Suche nach seiner großen Liebe ("I will find you") durch die drogenverseuchten Vorstädte von Delta City streunt, stößt er sinistre Drohungen aus ("Someone call the ambulance/There´s gonna be an accident"). "Drag", wieder ein Duett, stellt den ersten Höhepunkt der Platte dar und ist eine klassische Hymne auf mangelndes Selbstvertrauen, entstellte Sexualität und Selbstzerfleischung. Treibende Beats sorgen für wohlig zuckende Knie. Doch schon auf "Space Monkey" folgt der Sprung ins kalte Wasser. Die Einsamkeit wird langsam unerträglich. Was wurde aus dem einst strahlenden Liebespaar? Die Sehnsucht frißt Molko auf, doch auch wenn er in ihren Armen liegt, kann sie seine brennende Seele nicht löschen: "I´m dying inside her". Man muß an dieser Stelle festhalten, daß sich nicht nur der Gesang Molkos drastisch verbessert hat, auch scheinen die Texte mehrheitlich griffiger.
War der Vorgänger "Sleeping With Ghosts" von Lautstärke und Punk-Attitüde dominiert, bleibt auf "Meds" aufgrund der eingestreuten Balladen viel Platz zum Atmen. "Follow The Cops Back Home" ist hierfür ein gutes Beispiel, allerdings schabt der Refrain "Let´s follow the cops back home and rob their houses" hart an der Grenze zur Infantilität - leider nicht der einzige Ausrutscher auf dem Album, wie man anhand von "Pierrot The Clown" erkennen kann. Es ist gewiß nicht immer leicht, die Balance zwischen tränentriefender Romantik und Kitsch zu halten, aber "I´m wearing a frown like Pierrot the Clown" ist eindeutig jenseits der zulässigen Geschmacksgrenze. Dafür erfreut uns "Post Blue" mit der besten Bassline seit "English Summer Rain", und auch die Single "Cause I Want You" geht durch Mark und Bein. Die Adrenalin-Spannung hält bis zum Ende des Albums durchgehend an - ein Qualitätsmerkmal, das im Pop-Biz Seltenheitswert besitzt.
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