Phallus Über Alles - Iron Woman
ØØØ 1/2
Fatal Recordings/Slave Indvstries/Ixthuluh (USA 2004)
Was wie ein Atari-Teenage-Riot-Klon klingt, ist nicht zu unterschätzen. Schon lange ging niemand mehr mit so viel Biß und One-track-mindedness ans gender-politische Werk. 02.12.2004
Die Band-Geschichte alleine würde sich schon prima als Basis für einen symbolisch-zaunpfahlschwingenden Arthausstreifen eignen. Gegründet wurde Phallus Über Alles von einer Künstlerin, die sich einfach Diesel nennt und als hervorstechende Merkmale angeblich für Frauen untypische Gimmicks aufzählt: einen Mohawk-Haarschnitt, feministische Tiraden und der Standpunkt, alles tun zu können, was ein Mann auch kann. Auch wenn hier offensichtlich Erklärungsbedarf besteht, wie denn diese Sachen so untypisch weiblich und in welcher Art und Weise sie geschlechtsspezifisch sein sollen, ist alleine diese zähnefletschende Herausforderung in den ersten Zeilen der offziellen Biographie ein unzweideutiger Hinweis, was Phallus Über Alles für den Hörer bereithält.
Aber bevor darüber gesprochen wird, noch ein wenig mehr aus der Band-Geschichte. Diesel gebar also 1999 im Schoß der Künstlerkommune Slave Indvstries, wo sie auch die Projekte Slave Cylinder und Shard betrieb, die ersten Phallus-Über-Alles-Tracks, bereicherte diese dann mit Musikern - die alle so blumige Namen wie Remy, DJ Rasp.Utin, Killswitch, Tank oder Cobra tragen - und trug sie schließlich zu diversen Labels. Eines dieser Labels ist die Heimat der berühmt-berüchtigten Atari-Teenage-Riot-Frontfrau Hanin Elias, die anno dazumal mit ihrem Kollegen Alec Empire den "Digital Hardcore" per schmerzhafter Bohrmaschineninjektion in die Gehörgänge der aufnahmewilligen Jugendlichen pumpte. Eine detailiertere Bio findet man auf Band- und Label-Homepage.
Genauso wie die Label-Kollegin Hanin Elias einst, so gehen auch Diesel & Co. heute an die musikalische Ausprägung ihres Machwerks. Sie selbst betiteln es als "Feminist Digital Hardcore Electronic Punk", und - einmal ehrlich und ganz unter uns - kein Musikexperte und –journalist der Welt wird eine treffendere Bezeichnung finden. Jemals.
Wo allerdings Atari Teenage Riot mit Parolen, was in ihrem Fall gleichbedeutend ist mit Song-Titeln wie "Start the Riot!", "Hetzjagd auf Nazis" oder "Destroy 2000 Years of Culture", die politische Schlafwandelei der Teenager und Nicht-Mehr-Teenager aufrütteln wollten und globale Themen personalisierten, kehren Phallus Über Alles den Vorgang um und beschränken sich auf ein kleines Stück aus dem reichhaltigen Kuchen der politischen Agitation. Sie befassen sich beinahe ausschließlich mit dem sehr persönlichen Thema des Sexismus und der Gender Politics und versuchen ebendiesen Themen per undifferenzierten Propagandaschlachtrufen einen gerechtfertigten und notwendigen globalen Status zu verpassen. Dann heißt es eben "Brawl at the Boys & Girls Club", "Cunts For Cash", "Future Homemakers of America" und "Empower Tools/Whorecore". Und die Texte sind dann ebenso unapologetisch und lauten zum Beispiel "A hole to stick his dick in/that´s what the boys want/a woman who won´t question/that´s what the boys want" oder "For we are the burners of homes, homes of America´s inequality/Homes where living was the expression of everything that was prejudicial and chauvinistic/Homes where violence and slavery and insecurity and fear were realities, not nightmares/we are not the future homemakers of America". Dazu hämmert ein Drum-Computer in halsbrecherischem Tempo stur den Beat aus, verzettelt sich manchmal selbst und verliert sich in einer Kakophonie aus brechenden Drum-Samples und Feedback; dazu quetschen Keyboards aus ihren Chip-Gebärmuttern elektrisierte Rythmen, die sich als Melodie tarnen, zuckend über den Betonboden des Songs wandern und die stählernen Gerüste der Musik mit Blitzenergie beleben. In der Mitte steht Diesel mit Megaphon und schreit sich die politische Seele aus dem Leib.
Von Fingerspitzengefühl und Diplomatie hält Diesel nicht viel - und wenn man betrachtet, wie viele Abgase sie (mit purer Absicht) in unsere dekadenten und verzogenen Kopf-Lungen pustet, dann fragt man sich, ob Benzin oder gar Kerosin nicht der treffendere Künstlername gewesen wäre.
Atari Teenage Riot gibt es nicht mehr, was zu betrauern ist. Hanin Elias schmiedet an ihrer eigenen Femme-fatale-Musik, Alec Empire hat sich den düsteren und schleppenderen Seiten des "Digital Hardcore" zugewandt. Phallus Über Alles treten, noch mit dem Blut der Geburt überströmt, in ihre Fußstapfen, und das müßte man beinahe feiern. Polemisch, unverblümt und mit eklatanter Härte wird hier dem einen oder anderen wieder bewußt gemacht, warum Atari Teenage Riot damals so wichtig waren und warum eine Künstlerkombo desselben Kalibers auch jetzt wieder wichtig sein muß. Und wer keine Ahnung von Atari Teenage Riot hat, der sollte sich Windeln anziehen und Phallus Über Alles hören – so verhindert man eine unnötige Beschmutzung der Kleidung, wenn man im ersten Schock die volle Breitwand an politischem Zorn und musikalischer Preßlufthammertaktik zu spüren bekommt. Bravo! Mehr davon!
:: werwolf ::
Phallus Über Alles - Iron Woman
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Fatal Recordings/Slave Indvstries/Ixthuluh (USA 2004)
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