Musik_Nikolaus Harnoncourt - 4 CD-Boxen

Idealist und Stardirigent

Letzten Dezember feierte der "Modedirigent" seinen 75. Geburtstag. Ein guter Anlaß, Person und Schaffen mit einigen Veröffentlichungen zu würdigen ...    10.02.2005

Harnoncourt begann als Cellist bei den Wiener Symphonikern und war mit der Aufführungspraxis der Wiener Klassik so unglücklich, daß er vor knapp 50 Jahren mit seiner Frau Alice den Concentus Musicus Wien gründete, dem er bis heute treu blieb. Damals spielte das Ensemble die ersten Konzerte noch im fast privaten Rahmen im Palais Auersperg; später bekamen sie einen eigenen Zyklus im Wiener Musikverein, der fast Insider-Status hatte. Mittlerweile sind aus jedem Konzertprogramm Doppelkonzerte entstanden, die auch fast immer ausverkauft sind.

Drei der jüngeren Konzerte sind jetzt auf CD bei BMG erschienen. Dazu muß erwähnt werden, daß Harnoncourt eigentlich einen lebenslangen Vertrag bei der TELDEC (Warner) hatte, der ihm von heute auf morgen von irgendwelchen Anzugträgern des Konzerns entzogen wurde. Gott sei Dank hat die BMG das Genie Harnoncourts erkannt und mit Hilfe der Wiener Philharmoniker seine Projekte übernommen.

 

Eine der interessantesten und besten CD-Boxen dieser Veröffentlichungen ist "Frühe Symphonien - Musik und Briefe", wo Nikolaus Harnoncourt und zwei seiner Enkel Briefe von Mozart vorlesen - als Umrahmung für die ersten Symphonien des Ausnahmekomponisten. Harnoncourt läßt dabei merklich mit dem Concentus das Genie des Kindes Wolfgang spüren. Bei der ersten Symphonie in Es-Dur kann man fast nicht glauben, daß ein achtjähriges Kind so etwas zustande gebracht hat.

Aber auch Mozarts "Requiem" hat den talentierten Dirigenten Zeit seiner Karriere begleitet; 2003 führte er es in einem grandiosen Konzert im Musikverein in Wien auf. Da die Totenmesse bekanntlich unvollendet ist, verwendete der Maestro die fertiggestellte Version von Franz Xaver Süssmayr (revidiert von Franz Beyer). Mit einem grandiosen Solistenquartett (vor allem Christine Schäfer und Gerald Finley seien lobend erwähnt) hat sich Harnoncourt hier selbst ein Denkmal gesetzt. Das besondere an der CD ist übrigens, daß sie auch einen CD-ROM-Part enthält, mit dem man zusätzlich zur Musik den Autographen mitlesen kann.

 

Ein weiteres Concentus-Musikverein-Projekt ist "Die Schöpfung" von Joseph Haydn. Gottfried van Swieten schuf das Libretto zur grandiosen Erzählung der Schöpfungsgeschichte - und Harnoncourt führt mit dem Schönbergchor und den Solisten Dorothea Röschmann, Michael Schade und Christian Gerhaher plastisch durch die ersten sieben Tage der Weltgeschichte. Der Dirigent hat dabei sein Ensemble - wie immer - grandios in der Hand.

Aber auch - wie bereits erwähnt - mit den Wiener Philharmonikern (und vor allem auch sie mit ihm) hat der Stardirigent außerordentlich gerne kooperiert. 2001 führte er mit dem Wiener Meisterorchester Friedrich Smetanas "Mein Vaterland" im goldenen Saal des Musikvereins auf. Ein Werk, das man ihm eigentlich nicht so zutrauen würde - hier wurde es allerdings auf nahezu exemplarische Weise realisiert. Besser kann man sich das nicht vorstellen und wünschen.

 

Diese vier erwähnten Produktionen sind natürlich nur ein kleiner Auszug aus Harnoncourts Schaffen; sie belegen aber die unendliche und intelligente Schaffenskraft des österreichischen Stardirigenten. Möge er der Musik (und uns) noch lange erhalten bleiben.

Herbert Hiess

Frühe Symphonien - Musik und Briefe

ØØØØ 1/2

Wolfgang A. Mozart


Concentus Musicus Wien

Nikolaus Harnoncourt

Deutsche Harmonia Mundi/BMG

 

Links:

Requiem

ØØØØØ

Wolfgang A. Mozart


Christine Schäfer, Bernarda Fink, Kurt Streit, Gerald Finley

Arnold Schönberg-Chor

Concentus Musicus Wien

Nikolaus Harnoncourt

Deutsche Harmonia Mundi/BMG

 

Links:

Die Schöpfung

ØØØØ 1/2

Joseph Haydn


Dorothea Röschmann, Michael Schade, Christian Gerhaher

Arnold Schönberg-Chor

Concentus Musicus Wien

Nikolaus Harnoncourt

Deutsche Harmonia Mundi/BMG

 

Links:

Má Vlast (Mein Vaterland)

ØØØØØ

Bedrich Smetana


Wiener Philharmoniker

Nikolaus Harnoncourt

Deutsche Harmonia Mundi/BMG

 

Links:

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