Musik_New Order - Waiting For The Sirens´ Call

Back in Control

2005 ist ein Rekordjahr an Jubiläen: Zweite Republik, Einstürzende Neubauten und die Truppe um Bernard Sumner, die zeigt, daß sie auch nach 25 Jahren für Überraschungen gut ist.    04.04.2005

Wer geglaubt hatte, "Waiting For the Sirens´ Call" würde stilistisch an den Comeback-Erfolg "Get Ready" von 2001 anknüpfen, der hat sich geirrt. Nach gründlichem Nachdenken über die Ausrichtung legt die Band das Rock-Image ab, das sie seit dem 93er-Werk "Republic" mit sich herumschleppte und ließ den Gitarristen Phil Cunningham die Keyboarderin Gilbert ersetzen. Herausgekommen ist ein typisches New-Order-Album in der reduzierten elektronischen Tradition von "Technique" ohne dessen Italo-Härte.

Was ist nun neu? Zum einen erfreut Rekrut Phil Cunningham auf einigen Songs mit Slide-Guitar-Einlagen ("Morning Night and Day"), zum anderen haben Bernard Sumner und Peter Hook über Gwen Stefani offenbar Gefallen an stimmgewaltigen US-Stars gefunden. So überrascht es wohl niemanden, die New Yorker Scissor Sister Ana Matronic als Background-Vocalistin auf "Jetstream" vorzufinden.

Bis es zu ihrem Comeback und in der Folge zum aktuellen Album kam, haben New Order viel durchgemacht. Entstanden aus den Fragmenten von Joy Division wurden sie zu Zeitzeugen der Manchester-Szene. Ihr Label Factory erlebte einen rasanten Höhenflug in den 1980ern und mußte dennoch zusperren. Als der Höhepunkt der Rave-Hysterie überschritten war, schloß auch ihr Club "The Hacienda" seine Pforten. Daß sie trotzdem ihrem Stil treu blieben, läßt sich nicht nur durch ihr Talent erklären. Dazu braucht es auch ein übergroßes Maß an Popularität. Denn alle lieben New Order. Trotz ihrer Riesenerfolge sind sie nie größenwahnsinnig geworden, Drogenexzesse der Bandmitglieder blieben genauso aus wie medial aufgeblasene Rosenkriege.

 

Zurück zum Album: Gleich der Opener "Who´s Joe?" katapultiert uns mitten hinein in die vertraute Welt New Orders. Hier finden sich die typischen Peter-Hooklines, die hellen, zynischen Lyrics und der unverkennbare melancholische Grundton. Weiter geht es mit "Hey Now What You Doing" mit seinem pulsierenden Adrenalin und dem großartigen Refrain ... und es hört nicht auf, denn das Album findet seinen ersten Höhepunkt beim namensgebenden "Waiting For the Sirens´ Call", einer Perle, auf die die Band zurecht stolz ist. Captain Hook zaubert eine seiner besten Basslines aus dem Ärmel, episch und im 16:9-Format baut der Song darüber auf. Zum Durchatmen bleibt kaum Zeit, denn als nächstes drängt die Single-Auskopplung "Krafty" in unseren Gehörgang.

Generell muß einmal festgehalten werden, daß sich auf "Waiting For the Sirens´ Call" kein einziger schlechter Song befindet. Sie schaffen es, noch eigenständig zu klingen, und das in einer Zeit, in der junge Indie-Bands wie Interpol, Bloc Party, Franz Ferdinand oder The Killers nach den Sternen greifen; eigentlich ein besonderer Verdienst.

Zwei Songs seien noch erwähnt: "Guilt is a Useless Emotion", ein bemerkenswert potenter Dancefloor-Killer und die Stooges-Reminiszenz "Working Overtime". Wer soviel durchlebt hat, darf auch ruhig seine eigene Vergangenheit durchstöbern. Besondere Empfehlung!

Ernst Meyer

New Order - Waiting For The Sirens´ Call

ØØØØØ


London/Warner (GB 2005)

 

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