Musik_Grafenegger Musiksommer 2016
Musikalische Europareise
Das Grafenegger Kulturfestival befindet sich zum zehnjährigen Jubiläum in voller Blüte und ist mittlerweile ein nicht mehr zu vernachlässigender Bestandteil der österreichischen Musikszene.
06.09.2016
Nur eine gute halbe Autostunde von Wien entfernt bekommt man in Grafenegg Jahr für Jahr Musikgenuß auf höchstem Niveau geboten. Nach dem beeindruckenden "Musiksommer" kann man schon gespannt in Richtung "Musikfest" blicken.
Intendant Rudolf Buchbinder, der ein ebenso blendender Networker wie Pianist ist, hat gemeinsam mit Erwin Pröll und vielen Sponsoren aus dem eher verschlafenen Schloß am Wagram einen Musiktempel ersten Ranges gemacht. Weltstars sind hier tatsächlich gerne zu Gast und lieben die beschauliche und freundliche Atmosphäre der Kremser Region und des südlichen Waldviertels. Im Gegensatz zu den Salzburger Festspielen, die eher hochgezüchtet sind und vom Ruf der Vergangenheit leben, hat man im niederösterreichischen Grafenegg das Atout der Nähe zu Wien, der ungezwungenen Atmosphäre und der inspirierenden Landschaft.
Im Jubiläumsjahr 2016 schloß der Musiksommer mit einer konzertanten Aufführung von Lehárs "Die lustige Witwe" auf höchstem Niveau ab. Christoph Wagner-Trenkwitz verband die Musiknummern auf ebenso ironische wie unterhaltsame Weise und rundete damit die fehlende Dramaturgie ab. Großartig waren auch die Tonkünstler unter ihrem Chef Yutaka Sado und die hervorragenden Solisten - allen voran die Einspringerin Rachel Willis-Sorensen als Glawari und Peter Sonn als Rossinol. Auch Daniela Fally als Valencienne und Daniel Schmutzhard als Danilo waren ausgezeichnet; sie reichten jedoch nicht an das Niveau der beiden Protagonisten heran. Schade, daß die Stimmen der Sänger zeitweise unmotiviert überverstärkt waren; das war hinsichtlich der hervorragenden Akustik des Wolkenturms mehr als unnötig.
Daß das Ganze oft mehr ist als die Summe seiner Teile, trifft gewissermaßen auf den Schoenberg-Chor zu. Wirkten die solistisch auftretenden Choristen manchmal peinlich, so war der Chor als Gemeinschaft hervorragend. Es ist schon klar, daß man für Nebenrollen keine Solisten engagiert - nur sollte man dann die Leute richtig auswählen.
Die Sache mit den Teilen und der "Ganzheit" trifft auch auf das schwedische Ensemble The Real Group zu. Angeblich war sein Grafenegger Auftritt der absolut letzte in dieser Formation - die Zukunft wird weisen, ob dem auch wirklich so ist. Nun, in der Fünfer-Besetzung waren die Künstler bei den jazzigen Nummern hervorragend und mitreißend; bei den solistischen Einlagen mußte man sich allerdings beinahe für sie genieren. So versuchte sich eines der Mitglieder beispielsweise an "Nothing Compares 2 U" von Prince und ein anderes an "Skyfall" von Adele (die schon so schwer zu ertragen ist). Sogar eine Frank-Sinatra-Nummer mußte dran glauben; die wurde aber aus Gründen des Selbstschutzes vom EVOLVER-Klassikexperten sofort ausgeblendet - zumal dieser "The Voice" noch selbst live erleben durfte.
Wenigstens waren die Arrangements und die Tonkünstler unter Niklas Willén sehr erfreulich und machten den Abend noch einigermaßen erträglich.
Einen Abend mit "historisch informierter" Spielpraxis bot der Auftritt des Orchesters Les Siècles" unter seinem Chef Francois-Xaver Roth. "Scheherezade" hieß das Programm, bei dem das Ensemble orientalisch orientierte Musik diverser Komponisten brachte. Natürlich durfte auch das titelgebende Werk Rimski-Korsakows nicht fehlen, das in den Konzertprogrammen von Grafenegg bis jetzt am häufigsten vorkam. Einer der Höhepunkte des Abends war der Auftritt von Patricia Petibon, die Maurice Ravels dreisätziges Werk für Sopran und Orchester in vollendeter Qualität zelebrierte. Genial auch Rimski-Korsakows Vertonung der schwülstigen Erzählung von Sindbads Abenteuern. Das Orchester ist ein veritables Spitzenensemble, das man hier hoffentlich noch öfters hören wird können.
Grafenegg ist seit einigen Jahren Campus des europäischen Jugendorchesters, das hier in inspirierender Atmosphäre wunderbare Konzertprogramme erarbeitet. Die Nachwuchsmusiker werden jedes Jahr von prominenten Dirigenten auf Tourneen mitgenommen und lassen die Ergebnisse ihrer Arbeit auch hier beim Schloß hören. Das heurige Konzert unter dem jüngeren Russen Wassili Petrenko bestand aus der österreichischen Erstaufführung von Philipp Glass´ Konzert für zwei Klaviere und Orchester und der Symphonie Nr. 1 in D-Dur, "Der Titan", von Gustav Mahler. Das Orchester war formidabel präpariert und bot eine Leistung auf allerhöchstem Niveau. Schade, daß der Dirigent - der vor allem auf knallige Effekte setzt - gerade bei Mahler nicht ein bißchen mehr Rücksicht auf Phrasierungen und musikalische Bögen nahm. Auch der Schluß des Finalsatzes wirkte leider wie bei so vielen anderen Dirigenten gehetzt. Glass´ Klavierkonzert war eine österreichische Erstaufführung und erinnert stellenweise sehr an Gershwin. Hier war das Orchester unnachahmlich brillant; vor allem die Zwillingsschwestern Labèque verzauberten auf ihren beiden Klavieren das Publikum.
Es ist sehr erfreulich, daß man besagtes Orchester am 27. August 2016 nochmals in Grafenegg hören durfte. Unter der Leitung des 88jährigen Bernard Haitink war es mit einem Werk seines Lieblingskomponisten Anton Bruckner zu hören. Allein das garantierte einen denkwürdigen Abend.
Herbert Hiess
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