Orchesterkonzert am 25. August 2011
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Werke von Jean Sibelius, Franz Liszt, Sergej Rachmaninow und Maurice Ravel
The Philadelphia Orchestra/Charles Dutoit
Solist: Jean-Yves Thibaudet
Der EVOLVER-Klassikexperte besuchte in Grafenegg 2011 vier Konzerte, wobei durch Zufall das erste und das letzte ganz hervorragend gelangen, während die beiden mittleren eher mittelmäßig waren. Im fünften Jahr seines Bestehens hat sich der Veranstaltungsort zu einer ersten Adresse für Musiker und Publikum entwickelt. 13.09.2011
Erstmals konnte man 2011 im Kamptaler Festspielort zwei neue Orchester von Weltrang bewundern, nämlich das Philadelphia Orchestra und das Concertgebouworkest Amsterdam. Diese beiden Orchester (und ihre Dirigenten) waren auch die "Sternstunden-Lieferanten".
Chronologisch betrachtet begannen die vier Konzerte mit dem Philadelphia Orchestra. Das Weltensemble legte in Grafenegg auf seiner "European Festival Tour" mit seinem Chef einen Zwischenstop für zwei Konzerte ein. Das vom Verfasser dieser Zeilen besuchte enthielt Sibelius' Ohrwurm "Finlandia", das zweite Klavierkonzert in A-Dur von Franz Liszt, die dem Orchester gewidmeten "Symphonischen Tänze" von Sergej Rachmaninoff und "La Valse" von Maurice Ravel.
Das Orchester war vom ersten bis zum letzten Takt nicht nur souverän, sondern brachte neben der phantastischen Ensembleleistung auch großartige Orchestersoli. Einzigartig und gänsehauterzeugend, wie der unvergleichliche Pianist Jean Yves Thibaudet, der Konzertmeister und die erste Cellistin ihren Trialog zelebrierten. Thibaudet ist nicht nur hochvirtuos, sondern vielmehr ein sensibler Musiker. Hier hörte man nicht, wie schwer Liszt zu spielen ist, sondern welch großartige Musik der Komponist schuf. Das "Nocturne" von Chopin als Zugabe war der Zuckerguß für Thibaudets Auftritt.
Nicht minder beeindruckend, wie Dutoit seine Musiker zu Höchstleistungen antrieb. Das Konzert war jedenfalls ein Meilenstein der Grafenegg-Ära.
Leider nur mittelmäßig waren hingegen die Konzerte des Orchestre de Paris und des Tonkünstler-Orchesters. Der schon vergangenes Jahr in Grafenegg aufgetretene Dirigent Paavo Järvi konnte nicht annähernd an den Erfolg von 2010 anschließen. Das kann auch am französischen Orchester liegen, obwohl es auch hier sehr gute Einzelleistungen gab. Das "Petruschka"-Ballett von Igor Strawinsky war bei den Soli durchaus interessant; im Gesamtklang fehlten jedoch der Esprit, der dem Stück eigene Humor und die Dramatik. Daß Järvi einen Forte-Schluß aus einer amerikanischen Fassung wählte, war absolut unverständlich. Der ursprünglich komponierte Pianissimo-Schluß hat im Hinblick auf die Handlung schon seinen Sinn.
Bei Bartoks "Concerto für Orchester" hörte man genauso exzellente Einzelleistungen - aber keine Wiedergabe "aus einem Guß". Bartoks fünfsätziges Werk sprüht vor folkloristischen Elementen und kompositorischen Feinheiten - ob im zweiten oder im vierten Satz ("Intermezzo Interrotto"). Schade, daß Paavo Järvi und das Orchester hier über viele Details nur "drüberwischten".
Die Tonkünstler brachten ein interessantes Berlioz-Konzert, nämlich nicht nur die oft gespielte "Symphonie Fantastique (Op. 14)", sondern auch deren Fortsetzung (Op. 14b) "Lélio oder die Rückkehr zum Leben". In diesem Werk schuf sich der Komponist eine musikalische Autobiographie. Mit zwei Solisten, Sprecher (Lélio als Berlioz selbst), Chor und Orchester bekommt der Zuhörer eine Lehrstunde, wie Berlioz an die Komposition eines Werkes heranging.
Die Ausführung des Monodrams hätte qualitativ nicht unterschiedlicher sein können. Während Robert Stadlober faszinierend in der Rolle des Komponisten aufging und Michael Schade ganz souverän die Extrempartie bewältigte, ging Adrian Eröd voll in den Orchestermassen unter. Orozca-Estrada konnte musikalisch mit den Tonkünstlern und dem Tschechischen Philharmonischen Chor Brünns bei dem Monodram richtig überzeugen, während das bei der "Symphonie Fantastique" leider völlig danebenging. Beim zweiten Satz, der Ballszene, waren weder die Harfen gut zu hören, noch konnte das Ensemble das Beschwingt-Tänzerische "rüberbringen". Obwohl der Finalsatz "Hexensabbat" sauber musiziert war, hätte man sich viel schärfere und brutalere Klänge gewünscht - so hätte Estrada beispielsweise ruhig die Klarinetten richtig "quäken" lassen können.
Von ganz anderer Qualität war das erste Konzert des Amsterdamer Concertgebouworkests in Grafenegg, das Andris Nelsons - als Lieblingsschüler des Orchesterchefs Mariss Jansons - leitete. Nelsons ist eine Persönlichkeit, die sozusagen völlig "authentisch" wirkt. Selbst beim Auftritt und beim Verbeugen ist nichts an ihm gekünstelt - er wirkt auf charmante Art sogar zeitweise unbeholfen.
Unbeholfen ist auch manchmal seine Schlagtechnik, bei der es nur bei einem solchen Meisterorchester wie dem Amsterdamer Concertgebouworkest zu keinen Patzern kommt. Nelsons setzt sehr auf Transparenz und forsche Tempi, was manchen Werken nicht guttut. Sowohl die "Rienzi"-Ouvertüre als auch "Salomes Tanz" wirkten eher gehudelt und ohne Flair. Bei der Ouvertüre hätte man das Lied-Thema (Gebet Rienzis) viel mehr auskosten können; bei Salomes Tanz fehlte die schwülstige arabische und erotische Atmosphäre gänzlich - kaum vorstellbar, daß Salome ihren Vater Herodes so verführen hätte können ...
Von ganz anderem Kaliber und wie ausgewechselt war der Dirigent bei Dimitri Schostakowitschs 8. Symphonie in c-Moll - einem der schwierigsten Werke des Russen, das der schwer vom Krieg traumatisierte Komponist als eine seiner "Kriegssymphonien" konzipierte (neben der 7. und der 9.). Letztlich wollte Schostakowitsch das Regime kritisieren, was er sich zeitlebens nie offiziell traute. Daher verarbeitete er seine Gedanken in Musik.
Mit modernsten kompositorischen Methoden (z. B. der "Flatterzunge" in den Flöten im 4. Satz) versetzt der Komponist die Hörer in den knapp 70 Minuten akustisch in die Kriegszeit. Lyrische Passagen wechseln abrupt in brutale Marschrhythmen und wieder zurück. Der vierte Satz (normalerweise als Finale) endet pianissimo und geht abrupt in ein Liedthema über, das genial in allen Instrumentengruppen zelebriert wird. Das Werk endet im leisesten C-Dur als trügerisch friedlicher Ausklang.
Nach dem eher schwachen ersten Teil machten Andris Nelsons und das Orchester aus der einzigartigen Symphonie eine Sternstunde - da ist es egal, welches Instrument oder welche Instrumentengruppe man aufzählen will. Schostakowitsch stellt in dieser Symphonie höchste Ansprüche an die Orchestermusiker (Englischhornsolo im ersten Satz, Piccoloflöten, Baßklarinette usw. usf.). Eine so beeindruckende Aufführung sucht ihresgleichen!
Grafenegg hat mit dem Amsterdamern sein Sommerprogramm 2011 beendet. Für 2012 liegt die Latte qualitativ extrem hoch; man kann aber sicher sein, daß das Management unter dem rührigen Intendanten Rudolf Buchbinder nahtlos an den heurigen Erfolg anschließen wird.
Orchesterkonzert am 25. August 2011
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Werke von Jean Sibelius, Franz Liszt, Sergej Rachmaninow und Maurice Ravel
The Philadelphia Orchestra/Charles Dutoit
Solist: Jean-Yves Thibaudet
Orchesterkonzert am 27. August 2011
ØØ 1/2
Das Leben eines Künstlers
Hector Berlioz: "Symphonie Fantastique" op. 14 und "Lélio" op. 14b
Tonkünstler-Orchester Niederösterreich/Andres Orozco-Estrada
Tschechischer Philharmonischer Chor Brünn
Solisten:
Michael Schade, Tenor
Adrian Eröd, Bariton
Robert Stadlober, Sprecher
Orchesterkonzert am 28. August 2011
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Werke von Igor Strawinsky und Béla Bartók
Orchestre de Paris/Paavo Järvi
Orchesterkonzert am 6. September 2011
ØØØØ 1/2
Werke von Richard Wagner, Richard Strauss und Dimtri Schostakowitsch
Königliches Concertgebouworchester Amsterdam/Andris Nelsons
Hören darf man heuer auch ganz ohne Maske. Grund genug für den EVOLVER-Klassikexperten Herbert Hiess, seine Musiktips für die Weihnachtszeit unter den virtuellen Christbaum zu legen.
Nicht nur Thomas Angyan, der zukünftige Ex-Chef des Wiener Musikvereins, hätte sich den Abschluß seiner Karriere - ebenso wie Staatsoperndirektor Dominique Meyer - anders vorgestellt. Wie so viele Kulturschaffende gingen beide der angeblichen Pandemie in die Falle.
Wer Rudolf Buchbinder ist, braucht man eigentlich niemandem mehr zu erklären. Der sich im 74. Lebensjahr befindende Star-Pianist ist in Kulturkreisen weltweit ein Begriff - und vor allem in Sachen Beethoven eine Kapazität, an der man nicht vorbeigehen kann und darf.
Pech oder Schicksal - wie auch immer man es bezeichnen mag: Daß die großartige Berliner "Carmen" schon nach der zweiten Aufführung von Amts wegen gestoppt werden musste, hätte sich niemand gedacht. Jetzt kann man sie wohl einige Zeit nur als Stream oder Aufzeichnung betrachten. Die Staatsoper unter den Linden zeigt mit ihr jedenfalls, daß sie dank ihrer hervorragenden Musiker viele der angeblichen Spitzenhäuser übertrifft.
Wie Political Correctness als brutale Verlogenheit entlarvbar ist, zeigt das Stück "Der Vorname" des Autorenduos Patellière und Delaporte. Herbert Hiess hat es in den Kammerspielen erlebt.
Alle Jahre wieder ... kommt nicht nur das Christuskind, sondern auch der "Streß", der oft zu Geschenkskäufen in letzter Minute führt. Um Verlegenheitsgaben wie Socken oder Bonbonnieren zu umgehen, hat der EVOLVER-Klassikexperte einige Tips zusammengestellt, die nicht nur eingefleischten Klassikliebhabern Freude bereiten werden.
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