Musik_Madonna - Confessions On A Dancefloor

Forever Young

Die Transformationen der Frau Ciccone finden auf ihrem 14. Album ein jähes Ende. Oder fängt sie vielleicht bloß wieder von vorne an?    13.12.2005

Sie war schon alles Mögliche: vom unschuldigen College-Girlie ("Like A Virgin") über die Working-Class-Heroine ("Papa Don´t Preach") und die männerfressenden Sex-Vampirin ("Material Girl") bis, zum Schluß, die aufrechte amerikanische Patriotin ("American Life").

Geläutert durch schlechte Verkaufszahlen - "American Life" erwies sich als veritabler Flop - reißt sich Louise Veronica Ciccone am Riemen und macht jene Musik, die sie schon immer am besten beherrschte: Dancefloor. Im Booklet zu ihrem neuen Werk "Confessions On A Dancefloor" posiert die nunmehr 47Jährige aufreizend im Aerobic-Dreß, mit einer Discokugel zwischen den Beinen; und sofort schießen Erinnerungen an die 80er Jahre und das damals grassierende Aerobic-Fieber (Jane Fonda!) durchs Gehirn.

Was ist da passiert? Wie es sich für einen Superstar in der Midlife-Crisis gehört, meditiert Madonna gehörig über ihre Jugend. Keine Angst - so schrecklich, wie das klingen mag, ist es beileibe nicht. Vielmehr erteilt die Dame ein bißchen Musikunterricht und wird dabei von prominenten Producern wie Mirwais oder Stuart Price (Les Rhythmes Digitales, Zoot Woman) tatkräftig unterstützt. Letzterer ist ja auch bekannt als fanatischer 80er-Retrofreak und so wundert es nicht, daß Price für die meisten Songs mitverantwortlich zeichnet. Da haben sich offenbar die zwei Richtigen gefunden.

 

Den Opener (und erste Single) "Hung Up" kennt inzwischen jedes Kind. Er beginnt mit einem Wecker, der den Lauf der Zeit symbolisiert. So einen findet man auch auf Gwen Stefanis "What You Waiting For?" - doch hier wird der Altersunterschied beider Disco-Queens hörbar: Läuft für Madonna die Zeit langsam ("Time Goes By So Slowly"), so rast sie Gwen Stefani davon. Außerdem geht Madonnas Zeit rückwärts, denn "Hung Up" basiert auf einem ABBA-Sample ("Gimme Gimme Gimme"). Madonna beschwört also noch einmal die Übergangsphase des 70er-Disco zum 80er-Dancefloor herauf.

So identifiziert man als aufmerksamer Hörer etwa das Sequencing von "Future Lovers" eindeutig als jenes von Donna Summers Klassiker "I Feel Love". Ob es sich dabei um eine Hommage oder bereits ein erstes Bekenntnis handelt, sei dahingestellt. Deutlicher ist da schon das Booklet, in dem einige Madonna-Zitate lose verteilt sind. "I am at the point of no return" klingt angesichts der unternommenen Zeitreise etwas verwirrend. Als aber die berühmte Hookline der Stooges, "I Wanna Be Your Dog" im Track "I Love New York" auftaucht, wird alles wieder klar. Wir befinden uns inmitten der Wiederaufarbeitung der Achtziger, freilich mit den Mitteln modernster Studiotechnologie.

Allen Befürchtungen zum Trotz klingt "Confessions On A Dancefloor" überraschend frisch, spritzig und sehr tough abgemischt. Madonna beweist hier nicht nur, daß sie den klassischen Disco-Sound mit der Muttermilch aufgesogen hat, sondern auch, daß schwachbrüstige Epigoninnen wie etwa Kylie Minougue oder Anastacia angesichts solcher Dancefloor-Kracher zittern müssen. "Confessions On A Dancefloor" hat gute Chancen, das beste Dance-Album des Jahres 2005 werden. Madonna ist wahrlich für immer jung.

Ernst Meyer

Madonna - Confessions On A Dancefloor

ØØØØ


Warner (USA 2005)

 

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