Musik_Bizets "Perlenfischer" konzertant im Teatro Real
Madrid, in der Oper
Anläßlich einer Städtereise konnte der EVOLVER-Klassikexperte in der Madrider Oper eine konzertante Aufführung besuchen, die ihresgleichen sucht. Die relativ selten gespielte Bizet-Oper mit vier Weltklassesängern, einem erstklassigen Chor und Orchester konnte weit mehr begeistern als diverse pseudomoderne Produktionen anderer "führender" Opernhäuser!
08.04.2013
Georges Bizets Oper "Les pêcheurs de Perles" ("Die Perlenfischer") stand und steht immer im Schatten ihrer großen Schwester "Carmen". Obwohl das Werk szenisch nicht wirklich viel hergibt, ist es nicht zu unterschätzen; stellenweise bietet es sogar mehr musikalische Schätze als der in Spanien spielende Stierkämpfer-Hit. Aus den "Perlenfischern" hat es nur das Duett Nadir/Zurga "Au Fond du temple saint" ("Der Tempel Brahmas strahlt") in die Wunschkonzerte geschaftt, wobei die Arie "Je crois entendre encore" des Nadir, das Duett Leila/Nadir und Leilas Arie selbst (die übrigens sehr an die Micaela-Arie aus "Carmen" erinnert) ihr um nichts nachstehen.
Das Drama um die Liebesgeschichte von Leila und Nadir spielt in Ceylon. Bizet ließ es sich natürlich nicht nehmen, viel Folklore in die Musik einzuflechten. Musikalisch ist die Oper für Solisten, Chor und Orchester extrem anspruchsvoll; allein Nadirs und Leilas Arien sind gewaltige Herausforderungen für die Sänger.
In der Madrider Produktion stellte Intendant Mortier ein internationales Solistenquartett auf die Bühne, das heutzutage kaum zu übertreffen ist. Mit der Sopranistin Patricia Ciofi lernte man eine Sängerin kennen, die sehr an Katia Ricciarelli erinnert. Dank ihres seelenvollen und runden Soprans strahlte sie eine extreme musikalische Intensität aus und berührte mit jedem Ton. Ihr Partner war an diesem Abend der Peruaner Juan Diego Flórez, den man wohl kaum näher beschreiben muß. Unglaublich, wie virtuos er seinen klaren und flexiblen Tenor selbst in den schwierigsten Passagen einsetzt! Selbst die höchsten Töne falsettiert er niemals (wie so viele seiner Kollegen); in der konzertanten Aufführung versprühte er mehr Dramatik und Charisma als viele andere "berühmte" Tenöre in Kostüm und Maske. Beispiellos war das Liebesduett Leila und Nadir, bei dem sich beide Sänger zu einer fast hemmungslosen Dramatik aufschaukelten.
Auch der Bariton Mariusz Kwiecien und der Baß Roberto Tagliavini paßten zum Weltklasseniveau des Lieebespaars. Obwohl sich der ausgezeichnete Pole Kwiecien in der Pause krankheitshalber ansagen ließ (Anm.: Ansagen - wenn für einen Künstler um Verständnis ersucht wird, daß es aus diversen Gründen zu Beeinträchtigungen kommen könnte), hielt er auch im zweiten Teil seine schwierige Rolle mit Bravour durch. Vom italienischen Sänger Tagliavini wird man noch viel hören; mit seinem profunden Baß machte er aus der Nebenrolle des Nourabad ein richtiges Ereignis.
Der Israeli Daniel Oren dirigierte das hervorragende Orchester und den noch besseren Chor des Madrider Opernhauses. Mit (manchmal zu) ausladenden Bewegungen führte er durch die schwierige Partitur; offenbar ist den Musikern des Orchesters keine Stelle zu schwierig. Ereignishaft waren Flöte und Harfe im Duett Nadir/Zurga, echte Sonderklasse bot der Chor des Teatro Real. Hier zeigen strahlende Soprane, fein klingende Tenöre sowie superbe Alte und Bässe ihr Können. Da könnte man anhand der hier in Wien so hochgelobten Chorszene echt neidisch werden ...
Das Madrider Teatro Real stellte sich mit dieser musikalischen Visitenkarte zu Recht als eines der führenden internationalen Opernhäuser vor. Die iberische Metropole hat offenbar trotz der Wirtschaftskrise nichts von ihrer künstlerischen Ausstrahlung eingebüßt.
Herbert Hiess
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