Musik_Rossini-Fest an der Wien
Grafen und Komtesserln
Mit einer formidablen Produktion der vorletzten Rossini-Oper "Le Comte Ory" konnte das Theater an der Wien die längst totgeglaubte Rossini-Tradition kurzzeitig wiederbeleben. In der vierten Aufführung der Serie sang die unschlagbare Cecilia Bartoli; mit ihren Solistenkollegen, dem erstklassigen Ensemble Matheus sowie der hervorragenden Regie gelang dem mittlerweile führenden Wiener Opernhaus ein großer Wurf.
28.02.2013
Wien konnte zu Lebzeiten des Komponisten eine Art "Rossini-Tradition" verzeichnen; als der Italiener 1822 mit 30 Jahren in Wien unter anderem "La Cenerentola" dirigierte, versetzte er das Publikum in eine regelrechte Hysterie. Leider liegt diese Tradition heutzutage praktisch im Koma; gerade Claudio Abbado schaffte es in den 80ern, mit ein paar brillanten Aufführungen eine Art "Rossini-Renaissance" zu starten. Das Haus am Ring versuchte kürzlich mit ein paar Wiederaufnahmen und einer (banalen) Neuproduktion von "La Cenerentola" eine gutgemeinte Wiederbelebung, die leider völlig mißlang.
Nicht so im Haus an der Wien: Mit der Übernahme der genialen Züricher Produktion von Rossinis vorletzter Oper "Le Comte Ory" servierte man dem Publikum eine wahre Sternstunde. in der vierten vom EVOLVER-Klassikexperten besuchten Aufführung sang nach krankheitsbedingten Ausfällen die unschlagbare Cecilia Bartoli. Die Mezzo-Primadonna belegt seit mehr als 20 Jahren einen ungefährdeten Spitzenplatz in der internationalen Sängerliga und bewies auch in dieser Aufführung, daß sie ihn bis heute zu Recht innehat.
Die Rolle der Contesse Adèle füllte sie mit Charisma, Witz, Musikalität und einer Traumstimme. Schon ihre große Auftrittsarie brachte das Publikum zur Raserei. Aber nicht nur sie, sondern auch die anderen Solisten machten diese Aufführung zu einem Triumph.
Lawrence Brownlee als schmieriger Comte Ory verfügt über eine wunderschöne und höhensichere Tenorstimme, die nicht so ausdrucksstark und charismatisch wie die von Cecilia Bartoli ist - ansonsten hätte man fast von einem Traumpaar sprechen können. Großartig waren auch die Schweizerin Regula Mühlemann in der Hosenrolle des Isolier und die Herren Pietro Spagnoli (Orys Freund Raimbaud) und Peter Kálmán (Gouverneur).
Als Orchester war hier wieder das Ensemble Matheus unter dem Korsen Jean-Christophe Spinosi zu hören, das schon 2011 bei Händels "Serse" brillierte. Auch hier blieben die Musiker ihrem Niveau treu und ließen Rossinis Musik aufs Schönste und Feinste glänzen!
Rossini "coverte" sich bei dieser Oper selbst, wie man in der heutigen Musikersprache sagen würde. Seine vorletzte Oper ist sozusagen ein Recycling des 1825 uraufgeführten Werks "Il viaggio a Reims", das praktisch unaufführbar ist, da man dazu auf einen Fleck 14 hochrangigste Sänger auf der Opernbühne bräuchte. Nur 1988 schaffte es Claudio Abbado einmal, eine Produktion an der Wiener Staatsoper zu realisieren.
Also übernahm Rossini für den "Comte Ory" einen guten Teil aus "Viaggio a Reims" und konnte damit die kostbare Musik für ein größeres Publikum leichter hörbar machen.
Dem Regieduo Moshe Leiser und Patrice Caurier gelang der Spagat, eine äußerst humorvolle Inszenierung mit viel Witz und Geist und vor allem ohne billig aufgesetzte Schmähs zu kreieren. Highlights waren etwa der Auftritt der Bartoli in einem hellblauen Citroën 2 CV (manchen als "Ente" bekannt) oder der Wohnwagen des Orys, den er in seiner Eremiten-Rolle als Liebesnest benützt. Daß die Personenführung handwerklich vom Feinsten war, ist bei diesen Regisseuren fast schon selbstverständlich.
Aus guter Tradition heraus servieren die Spitzenensembles der Aufführungen im Theater an der Wien im Laufe ihres Gastspiels öfters ein Konzert; so auch das Ensemble Matheus unter dem Dirigenten Spinosi. Im Reisegepäck hatten die Musiker für dieses Konzert zwei Rossini-Ouvertüren ("Barbier von Sevilla" und "La pietra del paragone") sowie eine selten aufgeführte (dafür umso imposantere) Hochzeitskantate des italienischen Komponisten.
Anläßlich der Vermählung eines bourbonischen Aristokratenpaares schrieb Rossini das Werk über die Vermählung des mythologischen Paares Thetis und Peleus (übrigens die Eltern von Achilles) nach einer Textvorlage von Angelo Maria Ricci.
Es war umwerfend, wie brillant und virtuos die Musiker Rossinis Hochzeitsmusik gestalteten; Lawrence Brownlee war als Peleus wie im "Ory" absolut höhensicher, während Thetis von Mari Eriksmoen gediegen interpretiert wurde. Herausragend aus dem "Jungen Ensemble des Theaters an der Wien" war Anna Maria Sarra als Ceres. In einer mörderisch schwierigen Arie, die keine musikalische Hürde ausließ, brillierte sie und stach zeitweise sogar ihre prominenteren Sängerkollegen aus.
Übrigens - es wäre nicht Rossini, wenn er auch hier nicht seine eigenen Werke "covern" würde: In der großen Arie der Ceres "Ah non potrian resistere" zitierte er seine Almaviva-Arie aus dem "Barbier von Sevilla", "Cessa di più resistere". Aber Schönes kann man eben nicht oft genug hören.
Herbert Hiess
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