Musik_Laibach - Volk

Und morgen die ganze Welt

Die äußerst wandelbare slowenische Krachband übt mit ihrem neuen Album auf ihre ganz eigene und verschrobene Weise Globalisierungskritik.    12.12.2006

Geschichte wiederholt sich nicht. Das hat die vielleicht letzte Konzept-Industrial-Band der Welt schon vor geraumer Zeit erkannt. Ganz am Anfang frönten Laibach einer teutonisch-totalitaristischen Hyperrealität, die gekonnt den megalomanischen Tito-Kult karikierte und von pseudolinken Gutmenschen - wie immer falsch - als faschistischer Pomp eingeschätzt wurde.

1984 begründeten Laibach (Musik), Irwin (Malerei, Grafik), Noordung (Theater) sowie einige Untergruppen das multimediale Künstlerkollektiv Neue Slowenische Kunst (NSK). Zu Weltruhm gelangten sie erst später mit ruppigen Coverversionen von Opus ("Live is Life") und Queen ("One Vision"). Obwohl sie lediglich die englischen Texte Wort für Wort in gebrochenes Deutsch übertrugen, wurden sie abermals als Nazis verunglimpft. Das lag mehr an ihrem Faible für politisch unkorrektes Auftreten (Militäruniformen auf der Bühne) als an rechtsradikalen Äußerungen - von ein paar gezielten Provokationen einmal abgesehen. Anfang der 90er Jahre übersiedelte die Band, die in Slowenien aufgrund ihrer politischen Agitation immer wieder mit Aufführungsverbot belegt wurde, nach London, um beim einst größten unabhängigen Label Mute Records ungehindert ihrem infernalischen Treiben nachgehen zu können.

Schlag auf Schlag folgten kritische Veröffentlichungen. Sie prangerten den Hoheitsanspruch des amerikanischen Wirtschaftssystems an ("Kapital"), den militärischen Verteidigungswahn ("Nato") bis hin zur Konsumhörigkeit und staatlich gesteuerter Verdummung ("Wat"). Auf ihrem neuen Album "Volk" wenden sie sich nun dem allergrößten Moloch zu, der die freie Welt in die Zange nimmt: die Globalisierung.

Doch statt dem fanfarenhaften, fast wagnerianischen Stil der 80er Jahre oder dem technoiden Dauerfeuer der 90er setzen sie diesmal auf ein Joint-Venture mit den slowenischen Elektronik/Ambience-Artisten Silence. Eines sei verraten: So ruhig klangen Laibach noch nie. Ruhig, aber nicht langweilig. Denn dazu ist die konzeptionelle Kraft, die hinter dem Album steht, viel zu faszinierend.

Laibach dehydrieren einige der bekanntesten Nationalhymnen, filtern die zentrale Botschaft heraus und lassen diese durch ihren Fleischwolf rattern. Herausgekommen sind 14 Stücke, die auf die ihnen zugrunde liegenden Originalhymnen bestenfalls nur mehr als Referenz verweisen können. Um möglichst viele Hörer zu erreichen, haben Laibach beschlossen, als Unterrichtssprache einmal mehr das gute alte Englisch zu pflegen. Im reichhaltig ausgestatteten Booklet finden sich zur Untermauerung etwa Zitate des Direktors der British World in Deutschland: "English should be the only official language of EU." Daran angeschlossen auch noch ein Bonmot des slowenischen Künstlers Mladen Stilinovic: "An artist who does not speak English is not an artist."

 

Mit viel Elektronik, klassischem Klavier und Leihgaben eines virtuellen Orchesters verwaschen Laibach die zumeist kernigen National-Märsche in nicht gerade farbenfroh leuchtende Trauermusik. Sie haben richtig erkannt: Von der Glorie vergangener (kämpferischer) Zeiten, auf die in den Hymnen der Völker Bezug genommen wird, und ihrem expliziten Drang nach Freiheit ist nichts, aber auch gar nichts übriggeblieben.

Der jeweilige Refrain der Hymnen wird von Silence in einer nahezu traumwandlerischen Schläfrigkeit intoniert. Sie soll wohl die Lethargie symbolisieren, in der sich die großen Nationen dieser Erde befinden. Konterkariert wird diese permanente Antriebslosigkeit dann von Milan Fras bretterharter Analyse, wie gewohnt in gut verständlichem Frankenstein-Baß gehalten.

Die deutsche Bundeshymne ist die erste, die dran glauben muß. "Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland" klingt in der etwas schwul-süßlichen Intonation von Silence-Sänger Boris Benko wie ein Nachruf. Milan Fras antwortet mit furchteinflößenden Weissagungen "No victory, no defeat, no shame and fatherland no more." Wie lange kann das noch so weitergehen? Die alten Werte sind futsch, es regiert das Chaos.

Amerika kommt als nächstes unter den Hammer: Aus dem "Land of the free, home of the brave" wurde ein leuchtendes Grab. Verzweiflung, Armut und Depression tanzen auf den Rücken der geschundenen Lohnsklaven. Frankreich, Spanien und besonders England, das mit seiner traditionellen Überheblichkeit noch immer glaubt, "Rulers of the world" zu sein - sie alle gehen den Bach runter. Mit Hedonismus hat Laibachs Album nichts zu tun; es geht um die melodiöse Demontage der falschen Dinge, unserer eigenen Illusionen, die uns in Sicherheit wiegen. Israel weiß zwar, daß die Zeit des Kampfes noch nicht vorbei ist, doch ist es das alles wirklich wert? Die Türkei hingegen wird von Laibach als aufstrebendes, aufrechtes Land dargestellt, vielleicht wollten sich die Musiker hier nicht in die Nesseln setzen. China und Japan haben dagegen den Glanz vergangener Tage längst verloren, auch wenn die Millionen nicht aufhören, für ihre Freiheit zu kämpfen.

Das einzige Manko von "Volk" ist, daß Laibach nicht genau erklären, worin ihr Freiheitsbegriff genau besteht. Müssen sie auch nicht mehr, die Fans wissen ja: Laibach setzten sich immer für ein unabhängiges Slowenien ein; heute aber soll die ganze Welt vom Joch unbarmherziger Konzerne und Kriegstreiber erlöst werden. Genau darum geht es auf "Volk". Und damit es nicht gar zu deprimierend wird, haben Laibach als Abschluß auch noch zwei erfundene Hymnen auf die CD gepackt - die des Vatikans und ihre eigene, die der schon fast vergessenen NSK. Danke, Laibach, für euren erhobenen Zeigefinger: Schmunzeln ist erlaubt.

 

Konzerttip: Wer die Reiter der Apokalypse live sehen will, findet sich am 15. 12. im Planet Music ein. Dort geben Laibach im Rahmen ihrer "Volk"-Tournee eines ihrer seltenen Gastspiele. Auch wenn die österreichische Nationalhymne auf der CD keinen Platz gefunden hat, kommen sie uns wenigstens besuchen.

Ernst Meyer

Kommentare_

robotka - 07.02.2007 : 19.49
Tolles Album, das stimmt, aber zu sagen, Laibach gäben eines ihrer seltenen Konzerte ist äußerst amüsant. Wahrscheinlich gibt es wenige Bands, die auch nur annähernd so oft in Wien spielen. Im Falle Laibach sind es im Schnitt 2 Gigs im Jahr, das kann man wohl schwer selten nennen :-)

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