Musik_Korn - Take A Look in the Mirror

Spiegelbilder aus der Vergangenheit

Es ist schon seltsam: Da machen die Burschen knapp ein Jahr nach ihrem Rohrkrepierer "Untouchables" eine neue Platte - und liefern einen Knaller ab, den man nicht erwarten konnte...    23.12.2003

Korn haben nicht nur ein Problem, sondern gleich mehrere. Sie sind - und das ist wohl das schwerwiegendste - stilistisch gefangen innerhalb ihres typischen NuMetal-Stils mit den tiefen Gitarren und Kinderreimgesängen und können nichts dagegen tun. Außerdem stehen sie ziemlich unter Druck: "Untouchables", ihr etwas zaghafter und alles andere als kompromißloser Versuch, eine experimentellere Platte zu veröffentlichen, endete im finanziellen Disaster. Die von Michael Beinhorn mit einem riesigen Etat total überproduzierte Scheibe, noch dazu vollgestopft mit 16 Tracks, floppte kommerziell und konnte auch die Kritiker nicht wirklich überzeugen. Bis auf den Grammy-Gewinner "Here to Stay" hatte das Album einfach zu wenig an guten Songs zu bieten.

Was also tun, wo doch nun schon das sechste Album ansteht (übrigens nur knapp ein Jahr nach der letzten Platte)? Softer können sie kaum werden, weil das zum einen die Glaubwürdigkeit innerhalb der eigenen Fan-Basis untergraben würde, weil Jonathan Davis zum anderen dazu die stimmlichen Fähigkeiten fehlen - und wohl auch, weil sie von allzugroßen Experimenten erst einmal die Schnauze voll haben. Also bleibt als logische Konsequenz nur der Schritt in die Gegenrichtung. Den ziehen sie aber mit einigen Einschränkungen knallhart (im wahrsten Sinne des Wortes) durch. Die Tracks auf "Take A Look In The Mirror" sind simpler, eingängiger und auch härter als vieles, was die Band in den letzten Jahren veröffentlicht hat. Back to the roots mit Blick nach vorn, gewissermaßen.

Das großartige "Right Now", zweite Single und wohl nicht wirklich zufällig ganz am Anfang der Platte stehend, gibt die Marschrichtung vor: ein heftiges, erstaunlich hartes Riff-Gewitter, dazu die typische Korn-Rhythmik aus dominantem Baß und druckvollem Drumming, und ein Jonathan Davis, der sich die Seele aus dem Leib röchelt, schreit, singt und keift. Nicht ganz typisch für das ganze Album, aber wohl rein von der mentalen Seite durchaus vorbildhaft für die folgenden zwölf Songs.

Der Gegenpol, namentlich das ebenfalls schon im Vorfeld veröffentlichte "Did My Time", das es sowohl ins Nachmittagsprogramm von MTVIVA als auch in die Top 20 der deutschen Singlecharts geschafft hat, zeigt uns, daß die Band auch wirkliche Ohrwurm-Hits schreiben kann, und begrenzt das Spektrum auf der anderen Seite. Das wirklich spannende an "Take A Look In The Mirror" aber passiert zwischen diesen beiden relativ eng beieinander stehenden Marken: Zum Beispiel, wenn die Band mit "Y´All Want A Single" einen Anti-Song im besten Sinne verfaßt, der noch dazu in die Beine geht; wenn bei "Counting On Me" und vor allem dem wirklich brillianten "Deep Inside" mittels der Gitarren und eines Davis in Höchstform ein wahrhaft dramatischer Spannungsbogen innerhalb eigentlich ganz einfach strukturierter Kompositionen aufgebaut wird, der nicht zu verleugnen ist und den Zuhörer gänzlich von der wiedergefundenen Stärke der Band überzeugt.

Fazit: Was wir auf "Take A Look In The Mirror" im Kern zu hören bekommen, ist eine kraftvolle, riff-orientierte Metal-Band, die episch-apokalyptische Songs schreibt, diese in ihrem typischen NuMetal-Jargon performt und in ein kompaktes Dreiminuten-Format verpackt. In diesem Sinne ist auch das ganz am Ende versteckte (und recht passable) Metallica-Cover "One" nur zu folgerichtig; besser hätte nur noch Soundgardens "Black Hole Sun" zu diesem Album gepaßt. Dabei wirken Korn - und das ist der große Unterschied zu "Untouchables" - auf "Take A Look In The Mirror" unglaublich souverän und bleiben immer unzweifelhaft Herren der Lage. Einzig "Play Me", der HipHop-Track mit Gast-Rapper Nas, wirkt wirkt ein wenig deplaziert und gekünstelt, doch ansonsten haben wir hier zwölf kraftstrotzende, groovende Rock-Monster vor uns, die zu überzeugen wissen.

Im Endeffekt bleibt als einziger großer Kritikpunkt eigentlich nur die wirklich schwache textliche Darbietung, die uns hier vorgeführt wird. Wer auf seiner sechsten Platte immer noch nichts anderes zu sagen hat als "Fuck You! I can´t take this anymore" (Grundgedanke jedes Korn-Songs), läuft Gefahr, daß erstens die echten Musikliebhaber unter den Fans irgendwann "dito" sagen und die Band links liegen lassen, und zweitens, daß das sowieso lädierte Vertrauen in die Aufrichtigkeit endgültig dahinschmilzt. Aber sind wir doch realistisch: Wer hört bei einer so toll rockenden Platte schon auf die Texte?

Eigentlich erstaunlich, wie diese Band trotz ihrer stilistischen Selbstlimitierung noch die Kurve gekratzt hat.

Sebastian Baumer

Korn - Take A Look in the Mirror

ØØØØ


Sony (USA 2003)

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