Musik_Keane - Hopes and Fears

Melancholische Schwiegersöhne

Seltsames tut sich neuerdings auf der Insel: Hochanständige Buben schicken sich an, mit Schmalz in den Songs statt in den Haaren einen auf BritPop zu machen.    14.06.2004

Sie arbeiten ganz ohne Gitarre.

Darf man den Jungs von Keane Glauben schenken, ist ihr Gitarrist nämlich "verlorengegangen". Nicht gestorben oder nach einem Streit abgezogen, wie es sich für eine richtige Rock´n´Roll-Band gehört hätte, sondern irgendwann im Jahre 2002 einfach weg gewesen. Die ehemalige High-School-Band rund um die "Handwerker" Tim Rice-Oxley am Klavier und Richard Hughes an den Drums sowie Sänger Tom Chaplin sollte von den nicht vorhandenen Gitarrenwellen profitieren. Anderen Wellen entkam Keane nicht: nämlich dem britischen Indie-Hype. Und das mit liebevoller Musik von perfekten Schwiegersöhnen. Die etwas langen Federn am Kopf der drei britischen Jungs kann man ja probemlos durch Anwaltsfrisuren ersetzen.

Der Vorhang für den Eintritt ins Pop-Wunderland hebt sich bereits mit dem Opener des Debütwerks "Hopes and Fears". Schon die ersten Pianoklänge von "Somewhere Only We Know" triefen nur so vor Melancholie. Die bereits dritte Single-Auskopplung, die Keane dank heftigster Rotation auf MTVIVA auch am Festland bekannt machte - die ersten beiden Singles "Everybody´s Changing" und "This Is The Last Time" werden hierzulande wohl noch als Singles nachgereicht werden - ist im anmutigen Theater der Gefühle bestens aufgehoben. Ausnahmsweise einmal nicht klatschnasse Asphaltböden, sondern grasgrüne Wiesenblumen und glänzende Seeblumen tanzen vor dem Auge des Hörenden herum, der frische Geruch von Frühling liegt fast genau eine Albumlänge im Raum.

Die sphärischen Sounds zwischen Coldplay und Radiohead vermögen Keane aber nicht über die ganze Platte hinweg zu transportieren. Solide stellt sich die ausdrucksstarke Stimme des Sängers im Track "This Is The Last Time" der Herausforderung des beherrschenden Pianoklangs. Highlights kann Tom Chaplin, trotz engelsgleichem pausbäckigen Gesicht, da auch nicht mehr aus seinen Stimmbändern kitzeln. Sehr wohl konkurriert er aber in hohen Stimmlagen mit den glaszerberstenden Eunucheneinlagen von The-Darkness-Frontman Justin Hawkins. Während bei "She Has No Time" A-ha-Einflüsse auszumachen sind, singt sich "Sunshine" fast selbst in den Schlaf, ehe der letzte Track "Bedshaped" fast noch einmal an die Qualitäten des Openers anschließen kann.

Das liebesverseuchte Songwriting lehnt sich zwar am schönen Pianoklang an, richtige Knaller sind aber nicht auszumachen. Beim derzeitigen endlosen Aprilwetter und der damit verbundenen Gefühlslage sind wohl auch krawattentragende Rechnungsprüfer fähig, sich solche Texte aus ihren zahlenverseuchten Köpfen zu saugen.

David Krutzler

Keane - Hopes and Fears

ØØØ 1/2


Island/Universal (GB 2004)

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