Junior Boys - So This Is Goodbye
ØØØØØ
Domino/edel (Kanada 2006)
Was als eigenwilliges Dancefloor-Experiment begann, reift auf dem zweiten Album des Projekts von Jeremy Greenspan zum besten Neo-Synthpop, der zur Zeit erhältlich ist. 04.10.2006
Vor etwa fünf Jahren zerbrach das Dogma des Techno, wonach Vocals in Four-to-the-floor-Stücken, sei es House oder 2Step, verboten waren. Seither tummeln sich allerlei Bands in der Clubszene, für die der Einsatz der menschlichen Stimme genauso selbstverständlich ist wie die Verwendung elektronischer Beats und Sounds.
Die nunmehr auf ein Quasi-Solokunstprojekt rund um den umtriebigen Kanadier Jeremy Greenspan geschrumpften Junior Boys stellen - ganz klar - die Speerspitze obiger Gesinnungswandler dar. Vielleicht ist es das kanadische Klima, das als Insiprationsquelle für die coolen Vocoder und samtigen Arrangements mitverantworlich ist. Fest steht jedoch: Obwohl der Retro-Eighties-Hype längst abgeklungen ist, findet man auf "So This Is Goodbye", dem Nachfolger des hervorragenden JB-Debüts "Last Exit", unter den kristallinen Songs viele Reminiszenzen an bestens bekannte Synthpop-Bands der frühen 80er Jahre.
So erinnert etwa das grandiose "Count Souvenirs" an Hits der frühen Depeche Mode (z. B. "Lie to Me"), verziert mit einem flüsterleisen Soul-Touch, oder "First Time" an die Hymnen von OMD. Auch Greenspans hoch gelagerte, meist gehauchte Stimme paßt prima ins OMD- bzw. Visage-Umfeld. Natürlich klingt auf "So This Is Goodbye" nichts verstaubt oder antiquiert. Man bekommt den Eindruck, hier ist einer am Werk, der den Spirit der "good old days" mit modernsten Mitteln destililliert und zu einem neuen, funkelnden Ganzen zusammensetzt. Das mit dem Funkeln ist durchaus wörtlich zu verstehen: Schon lange waren auf keinem Elektropop-Album so viel Hall und wolkenhaft schwebende Synthies zu hören.
Mit der Wiederentdeckung der menschlichen Stimme kehrten selbstverständlich auch die Emotionen zurück. Und so dreht sich in Jeremy Greenspans wiederentdeckter Welt alles um zurückgewiesene Liebe, Einsamkeit, Isolation und tiefe Melancholie - die klassischen Themen eben. Stets waren es solche Künstler, die den Synthesizern Leben einhauchten und uns erfolgreich die Illusion vermittelten, diese Maschinen könnten fühlen.
Heute, 20 Jahre später, sind die Musik-Computer und Laptops an der Reihe. Wie gut das immer noch (oder schon wieder) funktioniert, beweist der Junior Boy mit Nachdruck. Doch nicht nur punkto Sound und Harmonien läßt sich eine gewisse Geistesverwandschaft mit 80er-Heroen feststellen. Der Titeltrack etwa erinnert an "Come Live With Me" von Heaven 17. Auch das hie und da anzutreffende, clever rekonstruierte Analog-Sequencing nebst Arpeggios läßt an vertraute Bands wie Erasure oder Blancmange denken.
Wer nun glaubt, die Junior Boys seien bloß weitere epigonenhafte Eklektiker, die lieblos das Beste aus 25 Jahren Synthpop-Musikgeschichte zusammentragen, um ein weiteres gesichtsloses Konglomerat daraus zu formen, irrt gewaltig. Die geheimnisvolle Stimme Jeremy Greenspans, gelagert über trockene, snappy Beats, die griffigen Harmonien und vor allem die wiederentdeckten klassischen Elektro- oder Synthpop-Strukturen machen "So This Is Goodbye" zu einem exquisiten Ohrenschmaus. Für die einen ist das Album eine wohltuende Zeitreise zurück in die eigene Jugend, als Techno noch nicht erfunden war und die Tanzflächen unter den Drumcomputern von Soft Cell oder Human League bebten. Für alle anderen ist es eine angenehme Abwechslung vom House- oder Garage-Einheitsbrei und darüber hinaus der lebende Beweis dafür, daß das Techno-Dogma des Sprechverbots für alle Zeit ausgedient hat.
Live: 1. November, Wien, B72
Junior Boys - So This Is Goodbye
ØØØØØ
Domino/edel (Kanada 2006)
Das Wiedersehen mit Bayerns Besten gerät auf deren sechstem Album zu einer sanften und melancholischen Reise ins Innere.
Die Ambient-Dub-Veteranen geben ein starkes Lebenszeichen von sich. Ihr vor einem Jahr exklusiv für den japanischen Markt erschienenes Album ist nun weltweit erhältlich.
Das mehr als zehn Jahre erwartete dritte Album des nach einer englischen Hafenstadt benannten Trios bietet alles mögliche - nur nicht das, was sich der ausgehungerte Fan erwartet hat ...
Trent Reznors neues Werk besteht aus 36 Instrumental-Songs, die über das Internet vertrieben werden. Trotz fehlenden Gesangs hört man deutlich, wer da an den Reglern saß.
Die Gründerväter des Gothic-Rock präsentieren nach 25 Jahren Pause ihr fünftes Studioalbum "Go Away White". Ernst Meyer begibt sich zu diesem Anlaß auf Zeitreise.
Zwischenstation Zugänglichkeit? Der neunte Longplayer der Herren Booth und Brown ist in 20 Sound-Miniaturen gegliedert, die man guten Gewissens Popsongs nennen könnte. Na ja, zumindest fast ...
Kommentare_