Musik_Jimmy Eat World - Futures

Nette Jungs von nebenan

Mit ihren beiden kommerziell erfolgreichen Vorgängeralben haben sie sich die Latte sehr hoch gelegt. Im dritten Versuch gelingt der Sprung dann doch.    18.10.2004

Die Zukunft beginnt dort, wo die Gegenwart die Vergangenheit kreuzt.

Jimmy Eat World, die ehemalige Metallica-Coverband, hat sich gemausert. Mit seinem fünften Streich "Futures" klopft das Quartett aus dem Wüstenstaat Arizona nicht nur gehörig in den Sand, sondern mit seinem ganz und gar nicht trockenen Sound auch gleich kräftig an altehrwürdige Stadiontüren. Denn in verrauchte und versoffene Clubs werden sich - mit dem neuen Album im Gepäck - so viele Fans drängen, daß die Band selbst nicht mehr hineinpassen wird.

Nach der Doppelveröffentlichung der Alben "Clarity" und "Bleed American" 2001 - nun ja, die Wege der europäischen Release-Politik sind manchmal unergründlich - wurde es um Jimmy Eat World verdächtig ruhig. Nur einmal, nach den Terroranschlägen in Amerika, muckten die Jungs brav auf und tauften mediengerecht "Bleed American" kurzerhand auf "Jimmy Eat World" um. Mit "Futures" wurde schließlich ein beständigerer Name für das neue Werk gewählt, doch mehr als der Titel brennen sich die Songs im Gedächtnis fest. Der einsetzende Trommelhagel des Openers "Futures" weicht einer sehr stringenten Gitarrenwand, um gleich einmal daran zu erinnern, wieso der typische Emo-Sound bereits 2001 für Furore gesorgt hat. Mit "Say Hello to Good Times" wird der werte Hörer im Refrain äußerst sympathisch begrüßt; die Session in Los Angeles im gleichen Studio, in dem die dauergrinsenden Beach Boys bereits ihre "Pet Sounds" aufgenommen haben, hat in punkto Stimmung doch Nachwirkungen hinterlassen.

Mutig genug variieren die Jungs melancholische Gefühlszustände mit mystischen und untypischen Sound-Gewändern. "Just Tonight" rockt im unverwechselbaren Jimmy-Eat-World-Gewand, während das Intro zu "Work" glatt aus dem Nirvana-Fundus kommen könnte, ehe "Kill" wieder Tränen auf die Wangen zaubert. "We´re only just as happy as everyone else seems to think we are", schreit sich Sänger und Gitarrist Jim Adkins zumindest innerlich ein wenig Weltschmerz von der Seele, ehe er gemeinsam mit Tom Linton eine unglaubliche zweistimmige Gesangsharmonie schafft.

Das Album kann neben balladesken Elementen - samt Klavier und Streicherarrangements - vor allem auf der rockigen Seite punkten: Die erste Single "Pain" baut intensive Spannung auf, auch "Nothingwrong" schlägt sich auf die Seite der härteren Jungs: "Burn burn, baby, burn burn" wurde vielleicht schon einmal anderweitig gehört, doch war die Textzeile noch nie in ein sympathischeres Umfeld gebettet.

Masterpiece des Albums - weil so exzentrisch experimentalistisch - ist aber "Night Drive". In seltenen Momenten kann man sogar ein wenig Air heraushören, bevor sich der Refrain wieder in sphärische Klänge ergießt. Wenn man(n) da nicht ganz fest an ein nach kirschrotem Lippenstift schmeckendes Wesen denkt - wie´s die Mädels mit dem Denken halten, weiß der Schreiber dieser Zeilen Gott sei Dank nicht so genau - ist man selber schuld. Und sollte sich besser Metallica im einsamen Kämmerchen anhören.

David Krutzler

Jimmy Eat World - Futures

ØØØØ 1/2


Geffen/Universal (USA 2004)

 

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