Musik_Jan Jelinek - Kosmischer Pitch

Moleküle, Mantras und Mäander

Mr. Jelineks neuer Wurf ist voll mit Querverweisen auf die Große Kosmische Musik der Siebziger. Wer sich eine Wiederbelebung vergangener Zeiten erwartet, irrt jedoch gewaltig.    25.11.2005

Referenzen an die goldenen Tage des Krautrock finden sich auf diesem Jelinek-Album viele: Da wäre zunächst der Titel: direkter kann man gar nicht auf die Altvorderen verweisen. Doch auch die Tracklist offenbart viele Erinnerungen. "Lemminge und Lurchen Inc." gemahnt an Amon Düüls Album "Tanz der Lemminge" aus dem Jahre 1971 und "Planeten in Halbtrauer" spielt auf Arno Schmidts "Kühe in Halbtrauer" gleichermaßen an wie auf frühe Experimente von Kraftwerk.

Standen auf älteren Veröffentlichungen Jelineks (etwa das vielzitierte "Loop-Finding-Jazz-Records") noch die Clicks and Cuts im akustischen Vordergrund, widmet er sich nunmehr pulsierenden, binauralen Mantras. "Kosmischer Pitch" ist ein einziges hypnotisches Experiment. Penibel ausgewählte Loops mäandern konzentrisch durchs Stereopanorama und wie die Jahresringe des am Cover abgebildeten Baumschwamms gesellen sich langsam aber stetig sanfte Effekte darüber, darunter und drumherum.

So entstehen changierende Klangkaskaden, die ein luzides Wohlempfinden vermitteln. Man versinkt förmlich in Jelineks Sound-Teppich. Diese Kompositionsweise ist an sich nichts Neues und findet sich schon bei Bands wie Popol Vuh oder Harmonia. Trotzdem ist "Kosmischer Pitch" kein Retroalbum, denn die einzige Gemeinsamkeit liegt in der kontemplativen Grundstimmung. Mitunter verzichtet Jelinek - in Stücken wie "Vibraphonspulen" - völlig auf Beats. Plötzlich befindet sich Jelinek im Lager anerkannter Avantguardisten wie Vladislav Delay oder Microstoria.

Doch Jelinek setzt nicht auf Improvisation. Vielmehr saugt es ihn hinein in seine selbstgeschaffenen Sounduniversen. Seine mikroskopische Herangehensweise ist die eines Klangforschers, der der Tonalität an sich auf den Grund geht. Sein Sezierbesteck heißt Granularsynthese, Re-Sampling und auch vor dem Einsatz akustischer Gitarren und Bässe schreckt er nicht zurück. Weil er weiß: im Grunde baut jede Form des Klangs auf Sinuswellen auf. Zerteilt man diese in immer kleiner werdende zeitliche Fragmente, erhält man Granulare, das musikalische Pendant zu physikalischen Atomen, dem Baustein komplexer Moleküle. Diese kann man durchsieben, filtern, reinwaschen und zu neuen Strukturen zusammenbauen.

In Wahrheit haben wir es hier also mehr mit "Mindmachines" zu tun als mit 70er-Nostalgie. Ob man Jelineks Musik-Experimente nun "plasmatisch", "kosmisch", "organisch" oder "magnetisch" nennt, ist eine Frage der persönlichen Orientierung. Eines steht fest: Selten zuvor war Grundlagenforschung so musikalisch. Das Anhören von "Kosmischer Pitch" bedeutet sich konstant modulierenden Harmonien auszusetzen; Zeit wird erfolgreich aufgehoben und langsam beginnt sich alles zu drehen.

Ernst Meyer

Jan Jelinek - Kosmischer Pitch

ØØØØ


scape/Ixthuluh (D 2005)

 

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