Musik_Opern von Tschaikowski und Rachmaninow
Seele vs. Postmoderne
Im Theater an der Wien vermittelte das Team Sinaisky/Lawless mit den Einaktern "Iolanta" von Tschaikowski und "Francesca da Rimini" von Rachmaninow beste russische Romantik - trotz Regieschwächen. Zwei Tage später verbrachte man dafür 70 sinnlose Minuten bei einer fragwürdigen Aufführung von Georges Aperghis "Les Boulingrin".
29.01.2012
Sowohl Peter Iljitsch Tschaikowskis "Iolanta" als auch Sergei Rachmaninows "Francesca da Rimini" waren die jeweils letzten Opern der russischen Komponisten. Rachmaninow lebte nach der Uraufführung seines Werkes 1906 noch 37 Jahre; Tschaikowski starb bereits ein Jahr nach der "Iolanta"-Premiere. Obwohl die Werke etwa zur gleichen Zeit entstanden, sind sie von der Musik her völlig unterschiedlich. Tschaikowski lässt in seinem letzten Werk sein gesamtes Schaffen Revue passieren. Wunderbar instrumentiert, klingt es manchmal sehr sentimental, ohne dabei in Kitsch abzugleiten. Rachmaninow bevorzugt dagegen kompakte - fast wagnerhafte - Klänge. Der Komponist nahm des öfteren Anleihen bei seinen eigenen Werken; manchmal glaubt man sogar, Teile seines berühmten Klavierkonzerts Nr. 2 (c-moll) zu hören. Während bei Tschaikowski die Theaterpraxis zu hören ist, klingt Rachmaninows Oper zeitweise eher oratorien- als opernhaft.
Bei Einaktern, wo eine Handlung in kurzer Zeit erzählt werden soll, oder bei Werken ohne wirklich hochdramatische klingende Musik hat es ein Regisseur schwer. Stephen Lawless, der im Theater an der Wien kein unbeschriebenes Blatt mehr ist, wartete angesichts dieser Herausforderung zeitweise mit guten Einfällen und einem passablen Regiekonzept auf. Doch sein Versuch, "Iolantas" Geschichte, die im Paradies spielt, und "Francescas" Episode in Dantes "Inferno" zu verknüpfen, zerstört den großartigen Schluß von Tschaikowskis Oper. Wie sich am berührenden Ende von "Iolanta" die Leute plötzlich aus den weißen Kostümen schälen und der rote Stern als Zeichen des Infernos vom oben daherkommt, das ist völlig sinnlos und zerstört um ein Haar die großartige Stimmung, die mehr als eine Stunde lang aufgebaut wurde.
Der Moskauer Bolschoi-Dirigent Vassily Sinaisky, der für Kyrill Petrinko einsprang, rettete musikalisch den Schluß von Tschaikowskis Einakter. Mit dem superb einstudierten ORF-Radio-Symphonieorchester war er mehr als ein Begleiter für Chor und Solisten. Wie die Musiker (allen voran die Holzbläser) die feinsten und subtilsten Klänge zauberten, das war eine großartige Leistung, von der sich die professionellen Wiener Opernorchester einiges abschauen bzw. -hören können.
Gesanglich war die Produktion ein Glücksfall - angefangen von Olga Mykytenko als strahlender Francesca/Iolanta über den großartigen Bassisten Dmitry Belosselsky und den strahlenden Tenor des Samir Pirgus bis hin zu Dalibor Jenis’ beeindruckendem Bariton. Besser kann man diese Werke heute nicht besetzen.
Zwei Tage später war bei der konzertanten Aufführung der 2010 uraufgeführten Opéra bouffe "Les Boulingrin" des Griechen Georges Aperghis musikalisch allerdings "Feuer am Dach". Der Komponist konstruierte rund um das Sujet des französischen Schriftstellers Georges Courteline eine sogenannte Musik, die letztlich in eine auditive Belästigung mündete. Zwar spielte das Klangforum Wien unter dem Dirigenten Emilio Pomárico exzellent; doch selbst die besten Musiker können nicht begeistern, wenn das Werk, das sie spielen müssen, fast inferior ist.
Der Komponist verstand es absolut nicht, aus den vorhandenen Instrumenten (z. B. mehreren Arten von Flöten wie Baßflöte oder Akkordeon) einen Klangzauber zu inszenieren. Wie schön hätte er die ironischen Momente mit subtilen Effekten ausschmücken können ... Das Stück fing so an, wie es nach quälenden 70 Minuten auch endete - nämlich mit wilden und ungeordneten Akkordläufen. Der Reiz war allerdings schon wenige Minuten nach dem Beginn verpufft, und letztlich zog sich das Ganze wie ein Strudelteig. Die Sänger machten ihre Arbeit recht ordentlich, wobei Donatienne Michel-Dansac als Hausmädchen Félice die beste Leistung brachte. Lionel Peintre als Des Rilettes versuchte - wenn schon nicht stimmlich - mit Humor zu überzeugen.
Offenbar lassen die zeitgenössischen Komponisten derzeit aus; nach dem Gogol-Horror von Lera Auerbach gilt auch für "Les Boulingrin" folgendes Motto: anschauen, anhören und sofort vergessen!!
Herbert Hiess
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