Musik_Hector Berlioz - Roméo et Juliette/Les Nuits d´été

Hoher Aufstieg, leichter Fall

Zum 200. Geburtstag des Komponisten spielt Pierre Boulez mit dem Cleveland Orchestra eine dramatische Symphonie ein, bei der die Gefühle nicht zu kurz kommen.    15.09.2003

Dank des 200. Geburtstags von Hector Berlioz gibt es (erwartungsgemäß) einen Reigen von Neuerscheinungen und Wiederauflagen seiner wichtigsten Werke auf Tonträger. Eine der letzten ist die dramatische Symphonie "Romeo und Julia", dirigiert von Pierre Boulez. Daraus entsteht keine allzu große Erwartungshaltung - Boulez zählt ja nicht unbedingt zu den emotionellsten Orchesterleitern. Umso größer ist die Überraschung, da der erste Teil ganz großartig gelungen ist. Bis zum Scherzo ("Die Fee Mab") zählt die Aufnahme zu den besten Einspielungen überhaupt. Boulez gelingt eine überzeugende und transparente Interpretation, ohne daß die Emotion zu kurz kommt.

Gesanglich interessant sind der farbige Tenor Kenneth Tarver und Melanie Diener. Letztere überzeugt als Mezzosopran vollkommen und singt die Julia sehr ausdrucksstark und gefühlvoll. Offenbar liegt ihr diese Stimmlage besser als der Sopran (was anhand der mangelhaften "Figaro"-Gräfin von 2002 belegbar ist), und so kann sie hier alle Trümpfe ihres Könnens ausspielen. Umso enttäuschender ist der zweite Teil, bei dem sich ein häßlich singender Baß namens Denis Sedov mit fahler Stimme durch das Finale brüllt. Leider können auch Boulez und Ensemble nicht an die Qualität von Teil eins anschließen. Schade - wäre das Finale genauso gelungen wie der Anfang, dann hätte man eine Top-CD in Händen. Dafür gibt es als Bonus noch die "Sommernächte" von Berlioz, wo sich alle drei Sänger mehr (Diener, Tarver) oder minder (Sedov) beweisen können.

Herbert Hiess

Hector Berlioz - Roméo et Juliette/Les Nuits d´été

ØØØØØ

Melanie Diener, Kenneth Tarver, Denis Sedov


Deutsche Grammophon/Universal (D 2003)

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