Musik_Mozart-Zyklus an der Wien
Harnoncourts Lebenswerk
Nikolaus Harnoncourt zelebrierte im Theater an der Wien Mozarts da-Ponte-Opern mit einer solchen Vehemenz und Brillanz, als wollte er mit seinen bald 85 Jahren all seine "Leib und Lebens"-Werke noch einmal Revue passieren lassen.
18.04.2014
Eigentlich muß man dem Regisseur Martin Kusej dankbar sein, daß er dem Publikum mit seiner Absage der "Così fan tutte"-Regie zu einem komplett konzertanten da-Ponte-Zyklus verhalf. Da stellt sich so nebenbei die Frage, ob nicht eine geschickt angelegte semi-konzertante Aufführung weit besser ist als eine semi-verworrene szenische Produktion, die sogar die Musik ad absurdum führen könnte.
Mozart ist der Komponist, der den österreichischen Dirigenten Nikolaus Harnoncourt sein ganzes bisheriges Leben lang begleitet hat. Mit seiner ihm eigenen Verbissenheit und seiner "Nur ich habe Recht"-Mentatlität proviziert der steirische Adelssproß (er ist ein Nachfahre von Erzherzog Johann) nicht selten heftige Diskussionen - vor allem, was seine Akzentsetzungen und die Tempowahl (man denke nur an den "Figaro"!) betrifft.
Harnoncourts Orchester Concentus Musicus Wien ist neben des Dirigenten Frau Alice seine echte Familie. Es ist sehr erfreulich, daß es in dem Ensemble wenig Fluktuation gibt. Viele der Musiker sind schon seit Jahrzehnten mit dabei. Wenn man die Leute auch als Zuhörer kennt, könnte man glatt sagen, daß man gemeinsam mit den Musikern altert.
Mozarts da-Ponte-Zyklus besteht aus den drei Opern "Le Nozze di Figaro", "Don Giovanni" und "Così fan Tutte". Aus urlaubstechnischen Gründen konnte der EVOLVER-Klassikexperte den "Giovanni" nicht live erleben; daher werden hier nur die beiden anderen Werke besprochen.
Harnoncourts Ansatz beim "Figaro" ist auf die subtile Tragik des Werkes ausgelegt. Natürlich geht es vordergründig um die revolutionäre Aufsässigkeit der Dienstboten gegen den Adel, die Mozart und da Ponte wunderbar ironisch in Musik und Wort umsetzten. Nicht zu vergessen sind aber die romantischen Verflechtungen zwischen den Paaren Gräfin-Graf und Figaro-Susanna, die letztlich mehr in Tragik als in Komik ausarteten. Deswegen wählte der Dirigent betont langsame Tempi, um oberflächliche Spaßmacherei gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Bei den Sängern hat Harnoncourt (oder eher seine Frau Alice?) nicht immer eine glückliche Hand. Waren Bo Skovhus als Graf und Ildiko Raimondi brillant, Mari Eriksmoen, Elisabeth Kulman als Cherubin und Figaro Andrè Schuen zumindestens interessant - so war Christine Schäfer als Gräfin schlichtweg eine Katastrophe. Mit steifer und monotoner Stimme und dem Kopf dauernd im Klavierauszug war ihre Gräfin mehr eine Parodie als eine rollendeckende Umsetzung der Partie. So etwas dürfte in einer Produktion, die letztlich auch auf DVD festgehalten wird, nicht passieren.
Ganz anders in "Così": Die in Wahrheit mehr als tragische Oper zeigt, wie zwei Paare durch einen "Freund" (Don Alfonso) und ein intrigantes Dienstmädchen in den beziehungstechnischen Abgrund geführt werden, aus dem es letztlich kein Entrinnen gibt. Harnoncourt gestaltete Mozarts geniale und extrem lebendige Musik so mitreißend, daß sogar sein Concentus oft Probleme hatte, ihm zu folgen. In dieser Oper hatte der Dirigent zudem ein homogenes, erstklassiges Ensemble zur Verfügung. Waren Mari Eriksmoen und Andrè Schuen im "Figaro" noch uninteressant unterwegs, konnten sie hier als Fiodriligi und Gugliemo wahrhaft brillieren. Genauso großartig waren Katja Dragojevics Dorabella und Elisabeth Kulmans Despina. Markus Werba als (fast zu jugendlicher) Don Alfonso sang und deklamierte perfekt; es wirkte nur recht lächerlich, wie auch er ständig mit dem Kopf im Klavierauszug auf der Bühne herumspazierte. Absurd wurde es dann, als er Ferrando und Gugliemo einmal im Rezetativ sagte, sie "müssen diesen Text auswendig kennen". Mauro Peter als Ferrando ist ein Tenor mit einer vordergründig schönen Stimme und absolvierte alle Szenen und Arien sehr anständig. Störend ist seine Technik, die fast nur über eine "Kopfstimme" funktionierte. Vielleicht kann er sich das ja in Zukunft noch abgewöhnen.
Mitten in dem Zyklus kam auch der Mozart-Zeitgenosse Josef Myslivecek "zu Wort". Mit dem grandiosen Ensemble Collegium 1704 unter Vaclav Luks konnte man endlich wieder die wunderbare Musik des zu Unrecht vergessenen "Sturm und Drang"-Komponisten erleben. In seiner Oper "L´Olimpiade" vertonte der böhmische Komponist eine etwas verworrene Geschichte um Liebe, Freundschaft, Ehre und so fort. Die Musik erinnert sehr oft an Christoph Willibald Gluck und Johann Adolf Hasse, von denen auch Musikstücke in die Aufführung eingearbeitet wurden. Exzellent waren die Sänger - allen voran Johannes Chum, Simona Saturova und Raffaela Milanesi. Schön, daß das Wiener Publikum dieses Werk, das 2013 im Prager Ständetheater mit dem fast gleichen Ensemble aufgeführt wurde, wenigstens konzertant erleben durfte.
Herbert Hiess
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