Musik_Hänssler Classic Special

Klassische Delikatessen

Niemand soll dem EVOLVER-Klassikrezensenten nachsagen können, daß er sich nur Tonträger der großen Plattenfirmen anhört. Klarerweise bringen die durch mehr Geld klingendere Namen an die Mikrophone. Aber das gelingt durch vernünftige Politik auch kleineren Labels - wie etwa der deutschen Firma Hänssler Classic.    23.06.2008

Jedem halbwegs informierten Musikfreund ist der Name Sir Roger Norrington ein Begriff. Sir Roger, geboren 1934 in Oxford, begann seine Dirigentenlaufbahn als Originalklangexperte mit den London Classical Players und dem Schütz Choir. Später dirigierte er erfolgreich die meisten Orchester mit Weltruf (auch die Wiener Philharmoniker). Seit 1998 ist er Chefdirigent des Radio-Sinfonieorchesters des SWR in Stuttgart. In dieser Zeit begann er auch die enge Kooperation mit der Firma Hänssler. Neben einer Einspielung der Mozart-Symphonien arbeitete sich Sir Roger kontinuierlich durch das Romantik-Repertoire (Mahler, Bruckner, Brahms, Berlioz, Wagner usw.). Herausragend ist etwa seine schon vor einigen Jahren erschienene Gesamtaufnahme von Berlioz´ "Benvenuto Cellini" (siehe EVOLVER-Besprechung).

Hector Berlioz ist einer der Lieblingskomponisten Norringtons. Wie stark diese "Liebe" ist, macht die Aufnahme des Requiems des französischen Komponisten hörbar. Es ist faszinierend, wie der Maestro das Orchester stellenweise aufbrausen läßt (vor allem im "Dies Irae" und im "Lacrymosa"), um dann passagenweise den Chor so dezent klingen zu lassen wie bei Sängern der Gregorianischen Choräle.

Genauso eindrucksvoll sind die Neuerscheinungen der Mozart-Symphonien, wobei interessanterweise pro CD immer frühe und späte Werke kombiniert werden. Man merkt, daß das SWR-Orchester auf höchstem Niveau agiert; es spielt Mozart in Richtung Originalklang, ohne daß das je derb und brutal klingt. Großartig sind auch die musikalische Linienführung und der Satzaufbau - jeder Satz der Symphonien klingt transparent und klar, ohne daß dabei die interpretatorische Qualität verloren geht.

In Sachen Anton Bruckner hat Norrington ebenso ein Wörtchen mitzureden. Mittlerweile sind bei Hänssler die Symphonien Nr. 3 und 6 des oberösterreichischen Komponisten erschienen. Auch hier strukturiert Norrington den Klang äußerst beeindruckend. Er verfällt niemals in romantisches Pathos, was die Puristen unter den Hörern freuen wird. Leider zeigen sich bei der 3. Symphonie stellenweise Zerfallserscheinungen. Bruckners Partituren stellen viele Dirigenten vor große Herausforderungen; gerade die Dritte neigt besonders dazu, in Einzelteile zu zerbröseln. Trotzdem ist dieser Bruckner-Zyklus sehr vielversprechend - wenn das Niveau der weiteren Neuerscheinungen genauso hoch ist, könnte dies eine Referenz-Produktion werden.

Ein anderer Brite, der jedem Musikfreund ein Begriff ist, ist Sir Neville Marriner. Als langjähriger Chefdirigent der Academy of St. Martin in the Fields war der mittlerweile 84jährige der direkte Vorgänger von Norrington beim SWR-Orchester. Seit diesem Zeitpunkt ist er "nur mehr" freier Dirigent. Auch von ihm sind bei Hänssler schöne Aufnahmen erschienen. Besonders empfehlenswert ist die 10-CD-Box zu Marriners Geburtstag. Sie enthält die schönsten Aufnahmen mit der Academy und ist sowohl für Klassikanfänger als auch für Spezialisten geeignet.

Herbert Hiess

Sir Neville Marriner - Anniversary Edition

ØØØØØ

Leserbewertung: (bewerten)

Werke von Händel, Mozart, Brahms, Grieg usw.

 

div. Solisten

Academy of St. Martin in the Fields/Neville Marriner

 

Hänssler Classic (D 1999) 

Links:

Anton Bruckner - Symphonie Nr. 3 in d-moll

ØØØ

Leserbewertung: (bewerten)

Radio-Sinfonieorchester des SWR/Sir Roger Norrington

 

Hänssler Classic (D 2008)

Links:

Hector Berlioz - Grand Messe des Morts (Requiem)

ØØØØØ

Leserbewertung: (bewerten)

Toby Spence, Tenor

 

SWR Vokalensemble Stuttgart

MDR Rundfunkchor Leipzig

 

Radio-Sinfonieorchester des SWR/Sir Roger Norrington

 

Hänssler Classic (D 2006)

Links:

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