Musik_Grafenegger Musiksommer 2012/Wiederaufnahme von "Hoffmanns Erzählungen"
Hoffmanns Entstellungen
Nach einer konzertierten medialen Intrige glaubte Roland Geyer, die geniale Regie der Offenbachschen Oper von William Friedkin ablösen zu müssen - und scheiterte bravourös. Trotz der um vieles besseren Sänger als bei der Aufführungsserie im März 2012 kam durch die fragwürdige Regie und das äußerst schwache Dirigat nur eine fade, unlogische Aufführung zustande. Doch es gab eine Entschädigung für den EVOLVER-Klassikexperten ... in Grafenegg.
07.08.2012
Es ist irgendwie phänomenal: Gerade bei Jaques Offenbachs einziger wirklicher Oper glaubt offenbar jeder (selbsternannte) Musikwissenschaftler, Regisseur oder Dirigent, in Libretto und Partitur herumzuschieben, ändern und "anpassen" zu können, wie es ihm Spaß macht - und das alles unter dem Deckmantel der Authentizität. Schlüssiges Erzählen der Handlung und eine passende Dramaturgie interessieren da nicht mehr wirklich.
Im März 2012 inszenierte Kinoregisseur William Friedkin Offenbachs Oper sehr gekonnt, wenn auch mit ein paar unlogischen Szenen; insgesamt war die Regie damals genial, verständlich und vor allem kurzweilig. Leider erwiesen sich aber die Sängerbesetzung und die musikalische Leitung als Katastrophe. Danach schoß sich der mediale Mainstream so negativ auf den Regisseur ein, daß der seine Inszenierung zurückzog. Roland Geyer fühlte sich daher berufen, selbst die Regie in die Hand zu nehmen - und schaffte mit der zweiten Serie leider nur einen müden Abklatsch.
Trotz hundertprozentig besserer Sänger war der Gesamteindruck "dank" der Regie und der musikalischen Leitung sehr dürftig. Die deutsche Sopranistin Marlis Petersen konnte mit ihrer höhenversprechenden, glockenklaren Stimme nicht alle Höhen erreichen, machte dies jedoch durch gekonntes Spiel und ihre entzückende Art mehr als wett. Wirklich perfekt haben alle vier Partien nur ganz wenige Damen (wie seinerzeit Catherine Malfitano in Salzburg) singen können. Der Mexikaner Arturo Chacón-Cruz war die Überraschung des Abends - mit seiner tollen, kräftigen Stimme und einer vor allem fulminanten Höhe faszinierte er ganz besonders. John Relyea als Bösewicht hat zwar eine kräftige Stimme, nur fehlt ihm im Piano das, was im Forte bei ihm zu stark ist. Insgesamt wurden also tolle gesangliche Leistungen geboten, die man sich auch beim diesmal auffallend unsauber singenden Schoenberg-Chor gewünscht hätte.
Die Inszenierung wirkte meiste hilflos und war nichts als eine lose Aneinanderreihung irgendwelcher Bilder. Wo Friedkin es geschafft hatte, die recht komplexe Handlung logisch zu erzählen, kam Geyer nicht einmal über die Ansätze hinaus. Man würde ja noch tolerieren, daß Olympia ausgerechnet ein Topmodel ist - wenn aber Spalanzanis Gäste quasi Kostümpuppen aus diversen Aufführungen der letzten Jahre sind, wirkt das eher lächerlich. Roland Geyer ist ein hervorragender Theaterintendant, hätte aber vom Thema Regie tunlichst die Finger lassen sollen. Daß er dazu noch die Musik verstümmelt, setzt dem Faß die Krone auf: Den Antonia-Akt nach dem Terzett Antonia/Dr. Miracle/Mutter geradezu abreißen zu lassen, ist durch nichts zu rechtfertigen.
Optimal wäre die jetzige Sängerbesetzung in der Friedkin-Regie und vor allem mit einem anderen Dirigenten gewesen, der in Sachen Offenbach tatsächlich etwas zu sagen hat (z. B. Marc Minkowski). Wünschen darf man sich bekanntlich ja alles ...
Kommen wir zu Erfreulicherem. Der Grafenegger Musiksommer 2012 ist eine echte Leistungsschau der Niederösterreichischen Tonkünstler. Nach der Sommernachtsgala war das erste Konzert unter dem russischen Titanen Vladimir Fedossejew, der übrigens am 5. August seinen 80. Geburtstag beging, eine veritable Sternstunde. Unglaublich, welche Klangreserven der Maestro aus dem Orchester herausholte; unter seiner Leitung geriet Tschaikowskis ansonsten eher sperrige "Manfred"-Symphonie zu einem Ereignis. Vom zartesten Pianissimo bis zu den gewaltigsten Eruptionen, die den Wolkenturm erzittern ließen, führte Fedossejew durch die Vertonung des dramatischen Gedichts von Lord Byron. Im ersten Teil begeisterten sowohl der Cellist Narek Hakhnazaryan als auch der Pianist Daniil Trifonov mit Werken von Tschaikowski und Rachmaninow. Beide Solisten reichten mit ihrem fulminanten Spiel an die Qualität so mancher großer Vorbilder heran.
Eine Woche später kamen die Tonkünstler unter ihrem Chef Andrés Orozco-Estrada und dem mexikanischen Tenor Ramon Vargas "zu Wort". Unter dem Titel "Notte Italiana" spielte das Orchester ein Mendelssohn-Programm ("Sommernachtstraum-Ouvertüre" und die "Italienische Symphonie" Nr. 4 in A-Dur). In der hochvirtuosen Ouvertüre durfte das Orchester (vor allem die Streicher) zeigen, was es kann. Im zweiten Teil sang Vargas fünf (relativ) stimmschonende Arien, die er fast lustlos und statisch brachte - Donizettis Arie aus dem Liebestrank, "Una furtiva lacrima", klang genauso wie Puccinis Arie aus "Tosca". Erst bei den Zugaben (Rossinis "La Danza" und Salvator Cardillos "Core n´grato") explodierte Vargas förmlich und machte das breite Podium des Wolkenturms zur Bühne. Schade, daß er die fünf Arien nicht genauso interpretierte. Orozco-Estrada und das Orchester spielten in diesem zweiten Teil den Triumphmarsch aus Verdis "Aida" sowie die Ballettmusik aus dem zweiten Akt und ein ganz besonders berührendes und schönes Intermezzo Sinfonico aus Mascagnis "Cavalleria Rusticana".
Einen erfreulichen Ausflug in die Alpen bescherte das Niederösterreichische Orchester im Konzert unter Claus Peter Flor. Nach der "Freischütz"-Ouvertüre und dem Konzert für Pauken und Orchester "Der Wald" von Siegfried Matthus (ganz hervorragend Solo-Paukist Günter Benedikt) begann nach der Pause Richard Strauss Monsterwerk "Eine Alpensinfonie". Das gewaltig besetzte Orchester (ähnlich wie in der "Frau ohne Schatten") unter der Leitung des deutschen Dirigenten war wieder einmal in Höchstform.
Diese "Alpensinfonie" ist Programmusik im engsten Sinn des Wortes; trotzdem klang das Werk wie aus einem Guß und nicht wie Stückwerk. Auch hier bewiesen die großartigen Tonkünstler, auf welch hohem Niveau sie derzeit sind.
Herbert Hiess
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