Musik_Grafenegg, 11. Saison
Musikalische Sommerfreuden
Wieder einmal hat eines der wichtigsten österreichischen Klassikfestivals Musikfreunden eine schöne Jahreszeit beschert - trotz der katastrophalen Hitze. Herbert Hiess, der EVOLVER-Fachmann für gepflegte Klänge, hat die Grafenegg-Konzerte auch dieses Jahr besucht.
15.09.2017
Im elften Jahr des Grafenegg-Musikfestivals konnte man mit Yutaka Sado den mittlerweile dritten Chefdirigenten (nach Kristjan Jervi und Andres Orozca-Estrada) des Hausorchesters Niederösterreichische Tonkünstler sehen und hören. Bis jetzt fiel der Japaner allerdings noch nicht mit Spitzenleistungen auf; die waren eher dem Gastdirigenten zuzuordnen. Mit einem interessanten und hochkarätigen Musicalkonzert wurden Liebhaber der "leichten Muse" bedient.
Die alljährliche Sommernachtsgala bringt gewohnheitsmäßig Weltstars in den Grafenegger Wolkenturm, um ein wunschkonzertartiges Potpourri zu zelebrieren. Leider finden sich diese Stars nur unter den Sängern und Instrumentalisten, jedoch nicht am Dirigentenpult. Nach zwei absolvierten Saisonen muß man feststellen, daß der japanischstämmige Chefdirigent sicher ein zumeist souveräner Orchesterleiter ist, der aber leider keine inspirative Ausstrahlung auf "seine" Musiker zu haben scheint. Das Landesorchester des größten österreichischen Bundeslandes hat äußerst homogene und exzellente Instrumentalgruppen, ist aber sehr von seinem Dirigenten abhängig, wenn es um die Gesamtqualität geht.
Vielleicht war es ja ein dummer Zufall ... aber heuer war es nach der Festivaleröffnung 2016 schon das zweite Mal, daß Sado das Orchester knapp zu einem "Schmiß" führte. Fatalerweise fand das diesmal beim ersten Satz des B-moll-Klavierkonzerts von Tschaikowski statt. Beim Seitensatz waren Oboe und Streicher so weit auseinander, daß die geniale Pianistin Khatia Buniatishvili recht irritiert war. Dank ihrer profunden Professionalität vermied sie einen kompletten Stop der Musik. Daß sie am Folgetag das Hauptkonzert und damit die Fernsehübertragung absagte, war hoffentlich kein Resultat dieses Patzers.
Gesangssolisten waren an diesem Abend der hervorragende und ob seiner Krankheit durch seine Leistung höchst bewundernswerte Dmitri Hvorostovsky sowie die bezaubernde Aida Garifulllina. Trotz einer zeitweiligen gewissen Schärfe in der Stimme konnte die bildhübsche Sopranistin überzeugen; der stimmgewaltige Russe lieferte die Qualität, die man von ihm erwarten darf. Stark am Rande der Zumutung streifte hingegen sehr oft Barbara Rett, die in ihrer Moderation nicht selten gewaltige Banalitäten von sich gab. Sie ist einerseits oberlehrerhaft und belehrend, andererseits dann wieder enorm anbiedernd (zum Beispiel bei dem off the records erfolgten Gespräch mit der Landeshauptfrau).
Wie großartig die Tonkünstler sein können, bewiesen sie bei einem hervorragenden Konzert unter dem Titel "Böhmische Lebensfreude". Gemeinsam mit der phantastischen jungen russischen Geigerin Alina Pogostkina gaben sie neben Dvořáks Violinkonzert vier ungarische Tänze von Johannes Brahms und - ebenso von Dvořák - die "Slawischen Tänze" op. 46. Die wunderbaren Klänge, die die St. Petersburger Violinistin ihrem Instrument entlockte, wird man ebensowenig vergessen wie die souveräne Begleitung durch den weltweit aktiven Tomas Netopil, der vor allem die Tänze eindrucksvoll zelebrierte.
Nach dem eher schwachen Konzert unter Yutaka Sado war der Abend mit Netopil künstlerisch höchst erbaulich. Man hörte bei Dvořáks Tänzen viele Feinheiten heraus, die das hohe musikalische Niveau sowohl der Künstler als auch des Komponisten demonstrierten. Netopil wäre ein Mann, den man öfters am Pult sehen und hören sollte. Wie danach zu erfahren war, sollte Tomas Netopil auch den unlängst viel zu früh verstorbenen Dirigenten Jiri Belohlavek bei den beiden Konzerten mit der Tschechischen Philharmonie im Rahmen des Festivals vertreten.
Musicals in symphonischer Stärke brachte das britische John Wilson Orchestra, benannt nach seinem Gründer und Chefdirigenten, der im Wolkenturm auch den Taktstock schwang. Mit vier Sängern (Vocals) führte er durch ein Rodgers/Hammerstein-Programm. Dabei bekam man Ausschnitte aus den bekanntesten Muscials der Komponisten ("Oklahoma", "South Pacific", "Sound of Music") sowie bekannte Nummern wie "The Lady Is A Tramp" zu hören.
Das Orchester war bis zum letzten Platz hochrangig besetzt, die vier Sänger hingegen auf unterschiedlichem Niveau. Annalene Beechey brachte als Einspringerin eine Superleistung. Auch Kim Criswell war beeindruckend - aber es ist natürlich unmöglich, mit der Sinatra-Nummer "Lady" an "The Voice" heranzureichen. Tenor Matt Ford war interessant, doch Richard Morrison mit seiner sonoren Baß-Baritonstimme und vor allem seiner hochsensiblen Interpretation war das Atout des Abends.
Auch wenn man merkte, daß Rodgers & Hammerstein einen ganzen Abend lang für manchen nervenzehrend sein kann - das Wilson Orchestra war für Grafenegg eine große Bereicherung. Nach dem Auftritt der hervorragenden Briten versteht man nun auch besser, warum man im Alltag in Wien keine Musicals hören sollte ...
Herbert Hiess
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