Musik_Einem-Jubiläum im Theater an der Wien
Der große Jubilar
Gottfried von Einems 100. Geburtstag wurde an der Wien mit seiner berühmten Vertonung von Dürrenmatts "Der Besuch der alten Dame" würdig zelebriert. EVOLVER-Klassikexperte Herbert Hiess war dabei - und hörte sich auch gleich ein paar andere Werke an.
25.04.2018
In einer superben Inszenierung und einer ebensolchen musikalischen Umsetzung konnte man im Theater an der Wien Gottfried von Einems sarkastische Tragikomödie "Der Besuch der alten Dame" mitverfolgen. Dafür war Beethovens konzertanter "Fidelio" im gleichen Haus eine veritable Bauchlandung.
Erst fünf Monate zuvor demonstrierte René Jacobs mit einer frühen Version von Beethovens einziger Oper, wie man das Werk interpretieren kann. Nicht nur, daß die Version von 1805 Raritätencharakter hat - auch die musikalische Umsetzung war damals eine Sternstunde.
Warum dann der italienische Barockspezialist und exzellente Blockflötensolist Giovanni Antonini das Risiko einging, Beethovens gängige Opernversion von 1814 konzertant aufzuführen, kann niemand so genau sagen. Von der Papierform her wäre eigentlich alles toll gewesen; man hatte große Namen (z. B. Klaus Florian Vogt), mit dem Basler Kammerorchester ein an sich berühmtes Orchester und mit der Gächinger Kantorei einen ebensolchen Chor.
Das Ergebnis war dann der sprichwörtliche "Schuß in den Ofen". Bis auf Regula Mühlemann, Stefan Cerny (Rocco) und Patrick Grahl (Jaquino) wurde undifferenziert und allzu laut gesungen. Am ärgsten trieb es wohl Sebastian Holecek als Pizarro. Er brüllte ständig mit solcher Begeisterung, daß er vor allem in seiner Arie richtig distonierte, und zwar bei den hohen Tönen mehr als auffällig. Der Chor, der früher mit Helmuth Rilling bravourös sang, kennt das Wort "pianissimo" auch nicht wirklich. Das war sogar etwas amüsant, wenn im Gefangenenchor der zweite Gefangene und die Chorherren das "Sprecht leise...." lautstark und mit viel mit Begeisterung sangen.
Auch das Orchester und der Dirigent konnten nicht wirklich überzeugen. Es ist unverständlich, daß der erfahrene Musiker Antonini die Musiker so positionierte, daß ein "Auseinanderfallen" vorprogrammiert war. Wenn die Hörner, die meist im Einklang mit den Fagotten spielen sollen, am anderen Ende des Orchestergrabens sitzen, fördert das nicht gerade die Synchronität des Orchesterklangs. So durcheinander hat man die Einleitung zum zweiten Akt und die große Florestan-Arie selten gehört. Und so nebenbei - Vogts sehr spezielle Gesangtechnik ist halt auch Geschmackssache.
Von einem ganz anderen Kaliber war die Aufführung von Gottfried von Einems "Der Besuch der alten Dame". Dürrenmatts grandiose Tragikomödie ist ein wahrhafter Spiegel der Gesellschaft. Großartig, wie er Charakterlosigkeit, Korrumpierbarkeit, Ehrlosigkeit und Kriechertum in die einzelnen Figuren projiziert. Einems revueartige, situative Musik ist eine berauschende Untermalung der morbiden Szenerie. Es war sein Komponierstil, bis auf das Duett Ill-Claire im dritten Akt (dort mit großen intensiven melodischen Bögen) alle Szenen mit kurzen Sequenzen zu vertonen.
Keith Warner setzte das Stück an der Wien in beeindruckend zeitlose Bilder um. Im typisch amerikanisch-überladenen Stil konnte man da und dort auch "product placements" erkennen. Seine Personenführung und Szenenwechsel waren perfekt auf die Musik abgestimmt; da kam nicht einen Augenblick Langeweile auf. Die Inszenierung lebte aber vor allem durch die drei hervorragenden Solisten der Hauptrollen und durch die wunderbaren Wiener Symphoniker unter Michael Boder.
Grafenegg hat sich mittlerweile als Heimstätte des European Community Youth Orchestra (ECYO) etabliert. Da wird das wunderschöne Schloß zu einem Campus, wo die jungen Musiker fleißig proben und üben können, um danach dem Publikum international zu beweisen, was sie können.
Mit einem österreichischen Programm (Brahms war sozusagen Wahlösterreicher) begeisterten die eifrigen jungen Menschen das Grafenegger Publikum. Gerechterweise muß man aber sagen, daß offenbar die Motivation der Musiker auf dem Podium eher der Applaustreiber als des Orchesters musikalische Leistung war. Nach Art von Dudamels "El Sistema" durften alle mitmachen, was beim "Frühlingsstimmenwalzer" und bei Brahms eine enorme Kompaniestärke bedeutete. Mit zwölf Kontrabässen und der restlichen Streicheranzahl kann mit der "normalen" Bläser- und Schlagwerkbesetzung keine gute Balance mehr gewährleistet werden.
Ganz anders klang da Mozarts letztes Klavierkonzert. In kleiner Besetzung und mit dem hervorragenden Brendel-Schüler Till Fellner wurde dieses einzigartige Stück geradezu zelebriert. Hier zeigten die Orchestermusiker, was sie tatsächlich können - und der Dirigent Vasily Petrenko verzauberte mit einem der letzten Werke Mozarts, in dem vor allem der langsame zweite Satz (larghetto) die Tür zum Paradies öffnet.
Herbert Hiess
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