Robert Schumann - The Symphonies
ØØ 1/2
Gesamtaufnahme der Symphonien
Chamber Orchestra of Europe/Yannick Nézét-Séguien
D 2014/Deutsche Grammophon (Universal)
Anläßlich des 100. Geburtstags von Maestro Carlo Maria Giulini und einer aufsehenerregenden Label-Präsentation der Berliner Philharmoniker kommt der EVOLVER-Klassikexperte nicht umhin, sich auch nach anderen Neuheiten umzuhören. Und muß feststellen, daß die führenden Orchester sich immer mehr auf ihre eigenen Labels verlassen statt auf die Promotion-Abteilungen der großen Tonträgerfirmen ... 22.05.2014
Über Carlo Maria Giulini zu berichten ist fast müßig; die meisten Klassik-Fans kennen den unsterblichen Maestro, der am 9. Mai 2014 seinen 100. Geburtstag begangen hätte. Giulini war einer der stillsten und gleichzeitig besten Dirigenten und wurde von prominenten Sängern, Solisten und Orchestermusikern ebenso geschätzt wie vom Publikum. Zu seinem Ehrentag brachten Sony eine 22-CD-Box mit dem Titel The Complete Sony Recordings und die Deutsche Grammophon die 15-CD-Box Giulini in Vienna heraus, die ein paar der wichtigsten Stationen des Maestros hören lassen. Trotz der zeitweise verwaschenen Aufnahmetechnik erahnt man auch über die Lautsprecherboxen, was für ein Titan Giulini war und noch immer ist. So sind die letzten drei Bruckner-Symphonien mit ihm und den Wiener Philharmonikern immer noch zeitlos. Unvergeßlich war auch damals das Live-Konzert 1984 mit der 8. Bruckner, bei dem die Zeit regelrecht stillstand.
Ebenfalls von der Deutschen Grammophon stammt die Neuerscheinung der vier Symphonien von Robert Schumann mit dem Chamber Orchestra of Europe unter dem Kanadier Yannick Nézet-Séguin. Der sogenannte "Senkrechtstarter" ist mittlerweile der dritte Teil des Trios Andris Nelsons, Gustavo Dudamel und eben Séguin. Diese drei Pseudo-Ekstatiker zeichnen sich durch ihr aufgesetztes Gehabe aus; übrig bleibt nach getanter Arbeit nicht selten eine gehörige Leere. So auch bei der Schumann-Aufnahme: Derart virtuos gespielt und trotzdem uninteressant hat man diese Symphonien noch selten gehört. Der Dirigent lobt sich zwar selbst, das Orchester so besetzt zu haben, daß eine gleichwertige Balance zwischen den Orchesterstimmen (Bläser und Streicher) hörbar sei. Schade, daß er dabei gewisse Nebenstimmen, Akzente und Steigerungen vergessen hat ...
Mit Schumann eröffnen die Berliner Philharmoniker ihr CD-Label gleich äußerst hochwertig. In einer wunderschön aufgemachten Box bekommt man die Audio-CDs, die Blu-ray, einen Download-Code für die Audiofiles und noch einen 7-Tage-Voucher für die "Digital Concert Hall" des Orchesters. Unter seinem Chefdirigenten Sir Simon Rattle spielt das Orchester alle vier Symphonien des deutschen Romantikers Schumann, darunter die 4. Symphonie (leider) in der Fassung von 1841. Schumann wird schon gewußt haben, warum er das Werk völlig umgearbeitet und erst 1851 uraufgeführt hat. Gerade der Übergang vom 3. zum 4. Satz, der allein die vier Symphonien rechtfertigt, klingt in der 1841er-Version wie eine Studie - unbeholfen und uninteressant. Rattles Zugang zu Schumann ist ein spätromantischer, leider manchmal ein bißchen zu "weichzeichnerischer". Auch wenn seiner Schumann-Interpretation (vor allem der 2. Symphonie!) ein Spitzenplatz gebührt, kann sie niemals mit jenen von Karajan, Giulini und Bernstein mithalten. Diese drei Dirigenten haben die Latte dafür aber auch unerreichbar hoch gelegt.
Interessant und absolut hörenswert ist das Label Signum Classics, das Produktionen des Philharmonia Orchestra London präsentiert. Das Spitzenorchester aus London bringt fast im verborgenen großartige Aufnahmen heraus; unter anderen eine Richard-Strauss-CD mit Christoph von Dohnany und vor allem einen ganzen Zyklus der Mahler-Symphonien unter Lorin Maazel. In drei Boxen mit jeweils drei Symphonien wird dieses "Ereignis" veröffentlicht. Die erste ist Ende 2013 erschienen, die zweite kommt jetzt im Mai 2014 auf den Markt, gegen Weihnachten dieses Jahres soll der Zyklus mit der dritten Box abgeschlossen sein. Schon die ersten drei Symphonien machen süchtig nach Maazels Mahler-Deutung. Nachdem Sony in den 80er Jahren nicht imstande war, die Gesamtaufnahme mit den Wiener Philharmonikern aufnahmetechnisch ordentlich zu produzieren, gelingt dies Signum bis jetzt umso besser. Und Maazels Mahler kann sich immer noch hören lassen - der großartige Maestro hat bei dem österreichischen Komponisten außer Leonard Bernstein, Sir Georg Solti und Giiuseppe Sinopoli auch keine Konkurrenten zu fürchten.
Das Label LSO Live ist auch wieder mit einer interessanten Neuerscheinung vertreten; diesmal mit dem "Deutschen Requiem" von Johannes Brahms. Mit den phantastischen Solisten Sally Matthews und Christopher Maltman überzeugen die Londoner Musiker unter ihrem Chef Valery Gergiev sehr. Sind auch manche Tempi hier recht überzogen schnell, so überwiegt immer noch der äußerst positive Gesamteindruck. Neugierig darf man auch auf Dmitri Schostakowitschs Symphonien 4 bis 6 sein, die demnächst mit dem Mariinski-Orchester unter Gergiev erscheinen sollen.
Resümierend kann man sagen, daß die Orchester-Label und die -Apps die konventionellen Tonträgerkonzerne sehr bald in den Hintergrund drängen werden. Das haben die Plattenfirmen auch ihrer Politik zu verdanken, weil sie schon seit geraumer Zeit die führenden Orchester mehr oder minder ignorieren. Die Direktvermarktung ist für die Musiker oft der einzige Ausweg aus einer unangebrachten Abhängigkeit von den Plattenproduzenten. Und - wer weiß - vielleicht wachen ja sogar einmal die Wiener Philharmoniker aus ihrem Dornröschenschlaf auf und versuchen auch diesen Weg?
Robert Schumann - The Symphonies
ØØ 1/2
Gesamtaufnahme der Symphonien
Chamber Orchestra of Europe/Yannick Nézét-Séguien
D 2014/Deutsche Grammophon (Universal)
Robert Schumann - Symphonien 1-4
ØØØØ 1/2
Symphonien in Bild und Ton
Berliner Philharmoniker/Sir Simon Rattle
D 2014/Berliner Philharmoniker Recordings
Giulini in Vienna
ØØØØØ
Aufnahmen mit Giulini aus seiner Wiener Zeit
Werke von Anton Bruckner, Ludwig van Beethoven, Johannes Brahmes, Giuseppe Verdi u. a.
Wiener Symphoniker & Wiener Philharmoniker/Carlo Maria Giulini
D 2014/Deutsche Grammophon (Universal)
Gustav Mahler - Symphonien Nr. 1-3
ØØØØØ
5-CD-Box
div. Solisten und Chöre
Philharmonia Orchestra London/Lorin Maazel
GB 2014/Signum Classics
Richard Strauss - Orchesterwerke
ØØØØØ
Till Eulenspiegel, Ein Heldenleben
Philharmonia Orchestra London/Christoph von Dohnanyi
GB 2014/Signum Classics
Brahms - Ein Deutsches Requiem
ØØØØØ
Totenmesse in 7 Sätzen
Sally Matthews, Christopher Maltman
London Symphony Chorus
London Symphony Orchestra/Valery Gergiev
GB 2014/LSO Live
Carlo Maria Giulini - The Complete Sony Recordings
22-CD-Box
div. Orchester und Solisten/Carlo Maria Giulini
D 2014/Sony Classical
Hören darf man heuer auch ganz ohne Maske. Grund genug für den EVOLVER-Klassikexperten Herbert Hiess, seine Musiktips für die Weihnachtszeit unter den virtuellen Christbaum zu legen.
Nicht nur Thomas Angyan, der zukünftige Ex-Chef des Wiener Musikvereins, hätte sich den Abschluß seiner Karriere - ebenso wie Staatsoperndirektor Dominique Meyer - anders vorgestellt. Wie so viele Kulturschaffende gingen beide der angeblichen Pandemie in die Falle.
Wer Rudolf Buchbinder ist, braucht man eigentlich niemandem mehr zu erklären. Der sich im 74. Lebensjahr befindende Star-Pianist ist in Kulturkreisen weltweit ein Begriff - und vor allem in Sachen Beethoven eine Kapazität, an der man nicht vorbeigehen kann und darf.
Pech oder Schicksal - wie auch immer man es bezeichnen mag: Daß die großartige Berliner "Carmen" schon nach der zweiten Aufführung von Amts wegen gestoppt werden musste, hätte sich niemand gedacht. Jetzt kann man sie wohl einige Zeit nur als Stream oder Aufzeichnung betrachten. Die Staatsoper unter den Linden zeigt mit ihr jedenfalls, daß sie dank ihrer hervorragenden Musiker viele der angeblichen Spitzenhäuser übertrifft.
Wie Political Correctness als brutale Verlogenheit entlarvbar ist, zeigt das Stück "Der Vorname" des Autorenduos Patellière und Delaporte. Herbert Hiess hat es in den Kammerspielen erlebt.
Alle Jahre wieder ... kommt nicht nur das Christuskind, sondern auch der "Streß", der oft zu Geschenkskäufen in letzter Minute führt. Um Verlegenheitsgaben wie Socken oder Bonbonnieren zu umgehen, hat der EVOLVER-Klassikexperte einige Tips zusammengestellt, die nicht nur eingefleischten Klassikliebhabern Freude bereiten werden.
Kommentare_