Musik_Gioacchino Rossini - Le Comte Ory

Nonnen auf der Flucht

Daß der Italiener einer der einfallsreichsten und witzigsten Komponisten ist, die man sich vorstellen kann, beweist diese Neuproduktion seiner frankophilen Oper.    25.08.2004

Rossinis späte Schaffensperiode war vom Pariser Flair geprägt. 1824 setzte er sich mit 32 Jahren in die französische Hauptstadt ab, um dort Inspiration zu finden. Vier Jahre später folgte dann die Uraufführung der Oper um den Grafen Ory, die quasi als Vorstudie der "Reise nach Reims" entstanden war (was die Verwendung zahlreicher Nummern in dieser turbulenten Verwechslungskomödie beweist.

Das Wiener Publikum hatte in der - im Gegensatz zu heute - glanzvollen Ära Abbado/Drese die Gelegenheit, eine unvergleichliche Aufführung dieser Oper zu erleben. "Le Comte Ory" ist, ähnlich wie die "Reise nach Reims", für die Sänger sehr anspruchsvoll gehalten; vor allem für den Koloratursopran und die tenorale Hauptrolle. Die vorliegende Neuerscheinung, bei der die Stimmen stimmen, kann man schon deshalb als eine der besten Opernaufnahmen der letzten Zeit bezeichnen. Mitgeschnitten wurde das Werk im Rahmen des Rossini-Festivals 2003 in Pesaro; als Dirigent liefert der in Wien allzu selten sicht- und hörbare Jesús López-Cobos eine phantasievolle und witzige Interpretation, unterstützt vom hervorragenden Orchestra del Tealtro di Bologna. Den Chorpart übernimmt der Prager Kammerchor, der übrigens schon bei der superben Aufnahme von "Il Viaggo a Reims" zu hören ist (entstanden ebenfalls in Pesaro). Die Hauptrollen sind mit Juan Diego Flórez und Stefanie Bonfadelli hervorragend besetzt - die beiden Sänger gäben auch ein ideales Paar in Gaetano Donizettis "Regimentstochter" ab.

Flórez tritt mit seinem leichten, flexiblen und musikalischen Tenor immer mehr in die Fußstapfen von Alfredo Kraus (wobei er noch sehr lange nicht auf dessen Niveau ist), und Signora Bonfadelli beeindruckt mit ihrer brillanten Koloraturstimme, die auch bei den allerschwierigsten Tönen punktgenau sitzt.

Alles in allem ist "Le Comte Ory" eine Referenzaufnahme, die jedes CD-Archiv bereichert bzw. bereichern sollte - und ein deutlicher Fingerzeig für gewisse Intendanten und Kulturmanager, die mit solchen Produktionen wieder auf ihre reale Größe (= Zwerge) zurechtgestutzt werden.

Herbert Hiess

Gioacchino Rossini - Le Comte Ory

ØØØØØ


Juan Diego Flórez, Stefanie Bonfadelli u. a.

Prager Kammerchor

Orchestra del Teatro di Bologna/Jesús López-Cobos

 

Deutsche Grammophon/Universal (D 2004)

 

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