Musik_Firewater - The Man on the Burning Tightrope

Kunststückchen

Mit ihrer vierten Platte verblüffen sie so ziemlich jeden - und das ist auch Sinn der Sache: verschrobener Alternative-Rock, der vor keinerlei genrefremden Elementen haltmacht.    07.04.2004

"Is everybody in?"

Dann kann es ja losgehen mit einer Show, die permanent zwischen Folk, Alternative, Jazz, Blues, Zirkusmelodien oder wahlweise Seemannsflair wechselt und dabei die Mäuler offenstehen läßt.

Wenn man den im Mondschein auf einem Hochseil tanzenden Artisten auf dem Cover von Firewaters viertem Album "The Man on the Burning Tightrope" sieht und das dazu passende Kirmes-Intro hört, ist man auf einiges gefaßt - bekommt aber viel mehr: eine der spannendsten und vielfältigsten Alternative-Platten seit längerer Zeit nämlich.

Dabei fängt das Ganze recht unspektakulär an: "Anything At All" entpuppt sich als recht durchschnittlicher Rocktrack, der mit einem Beat unterlegt wurde. Denkt man zumindest, bis der Song in ein langsamer und langsamer werdendes Klavier-Outro fließt und dann ebenso langsam dem folgenden, mit Orgeln, Karibik-Percussions und vielfältigen Blasinstrumenten versehenen "Too Much (Is Never Enough)" Platz zu machen.

Firewater nehmen dich mit auf eine musikalische Entdeckungsreise, und zwar nicht an Orte, an denen du noch nie warst, sondern - viel besser - an Orte, die du irgendwie im Unterbewußtsein zu kennen glaubst und durch diese Band erst wirklich kennenlernst.

Too much eigentlich, um das Ganze beim ersten Durchlauf zu erfassen, müßte man meinen. Trotzdem wirkt "The Man on the Burning Tightrope" so luftig und locker arrangiert, daß man metaphorisch beim ersten Hören über die Bretter tanzen oder auch durch einen Schlitz dazwischen in den Keller namens Tiefgang fallen kann.

Das klingt dann im für den Konsumenten einfachsten Fall nach noisigem Garage-Rock Marke Eels oder Grandaddy ("Don´t Make It Stop"), kann aber auch schon einmal in ein LoFi-Flamenco-und-Kastagnetten-Inferno münden, zu dem von Frontman Todd Ashley ein Song performt wird, der nach Piratenluft riecht ("Dark Days Indeed").

Das Album ist freilich nicht gänzlich unangreifbar: Die Vocals sind mit Sicherheit nicht der große Wurf, fallen aber in die Kategorie "zur Musik passend", und auch die Instrumente (inklusive Produktion) wirken nicht unbedingt technisch perfekt, was an manchen Stellen irritiert. Insgesamt bekommt man aber als Zuhörer von Firewater das, was das Cover verspricht: eine tolle Show mit jeder Menge Spezial- und Überraschungeffekten.

Man sollte "Man on the Burning Tightrope" insgesamt nicht als das große Meisterwerk sehen, als das die Alternativpresse es uns verkaufen will, sondern vielmehr, analog zum Konzept, als eine Art genialen Zaubertrick, der uns zeigt, wie genau man eigentlich zu dem Punkt kommen kann, zu dem man will, wenn man nur kurz seine Scheuklappen ablegt und einfach in die andere Richtung läuft als der ganze Rest.

Trick gelungen, Publikum absolut verblüfft, schönes Album gemacht. Voilà! Eigentlich bräuchten wir viel mehr solch verschrobener Nischenbands, um die anscheind immer noch zahlreich existierenden weißen Flecke auf der musikalischen Landkarte zu füllen.

"Don´t Make It Stop". Auf keinen Fall.

Sebastian Baumer

Firewater - The Man on the Burning Tightrope

ØØØØ


Nois-O-Lution/Ixthuluh (USA 2003)

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