Musik_"Don Giovanni" im Theater an der Wien & Silvesterkonzert in Grafenegg
Staraufgebot zum Jahresausklang
Es war erfreulich, daß Stars der klassischen Musik der österreichischen Hauptstadt Ende 2016 noch ihre Aufwartung machten. An der Wien hatte man Gelegenheit, "Don Giovanni" in Keith Warners hervorragender Inszenierung aus dem Jahre 2006 bewundern zu können. Im Konzerthaus wiederum konnte man das großartige London Philharmonic Orchestra mit dem Pianisten Jan Lisecki hören; zum Jahresausklang gab´s dann das traditionelle Silvesterkonzert in Grafenegg.
06.02.2017
Keith Warner dürfte sich bei seiner "Giovanni"-Inszenierung sehr von Vicki Baums Roman "Menschen im Hotel" inspirieren haben lassen. Er siedelte das "Dramma Giocoso" eben in einem Hotel an, wo der Diener des Edelmanns in die Rolle des Rezeptionisten schlüpfte. Der britische Regisseur baute in seine Inszenierung so viele Pointen und Subtilitäten ein, daß man sehr aufmerksam sein mußte, um seiner Interpretation folgen zu können. Genial war auch, wie die Sänger hier mehr Schauspieler als Vokalkünstler waren. Der Regisseur setzte bei dieser Aufführung den Aufzug als zentrales Element der Handlung ein - faszinierend, welche Wirkung die Auftritte und Abgänge (Abfahrten?) hatten. Sehr beeindruckend war Giovannis Höllenfahrt, die stehend in einem transparenten Sarg stattfand; mit dieser Szene endet auch die Oper.
Musikalisch war die Aufführung eine Sternstunde. Erstmals war das Mozarteumorchester Salzburg zu Gast im Theater an der Wien. Gemeinsam mit Ivor Bolton, der am Hammerklavier die Rezitative phantastisch begleitete, zelebrierte es Mozarts komplexe Partitur. Abseits von der oft falsch verstandenen zeitgeistigen "Originalklangkultur" konnte man die Musik wundervoll phrasiert und hochmusikalisch genießen. Bolton versteht es, die Sänger zu begleiten, ohne dem Orchester seine Eigenständigkeit zu nehmen.
Die Künstler hatten Weltniveau, von Nathan Gunns grandiosem Don Giovanni bis zu Jonathan Lemalus Leporello. Der Tiroler Martin Mitterrutzner begeisterte mit seinem Don Ottavio - schade nur, daß in der hier gespielten Wiener Fassung seine zweite Arie „Il mio tesoro intanto“ nur kurz im Rezitativ angesungen und leider nicht komplett gespielt wurde. Masetto, Komtur und die Damen waren ebenso festspielwürdig.
Festspielniveau hatte auch das Konzert des London Philharmonic Orchestra im Wiener Konzerthaus. Die grandiosen Musiker unter ihrem Chef Wladimir Jurowski begeisterten mit einem sentimental-pathetischen slawischen Programm.
Zuerst wurde Mikhail Glinkas "Walzerfantasie" in h-moll gespielt, die der Komponist erst 1856 für großes Orchester setzte (das Klavierstück wurde schon 1839 uraufgeführt) und in der eine hochinteressante Sequenz russischer Walzer erklingt. In dieser Orchesterfassung klingt das Stück auch viel farbiger als "nur" vom Klavier; vor allem, wenn es so brillant gespielt wird wie von dem Londoner Orchester. Als Hauptwerk wurde Sergei Rachmaninows erste Symphonie aufgeführt, die das Orchester in gewaltiger Besetzung regelrecht zelebrierte. Zu Unrecht steht dieses Werk im Schatten der ach-so-berühmten zweiten Symphonie. Man kann schon hier Rachmaninows Talent erkennen, auch wenn die Uraufführung musikhistorischen Überlieferungen nach kein großer Erfolg war.
Fulminant war auch das sentimentale E-moll-Klavierkonzert von Chopin. Als Solist wirkte der erst 21jährige Jan Lisecki, der wie ein braver Firmling aussieht, doch das Publikum von der ersten Minute an zu bezaubern verstand. Er ließ alle Phrasen so richtig singen und klingen, stellte aber dabei sein technisches Können nie in den Vordergrund. Gemeinsam mit Jurowski und dem superben Orchester servierten die Musiker eine regelrechte Sternstunde.
Die Niederösterreichischen Tonkünstler verbringen den Jahreswechsel tradtitionsgemäß in Grafenegg und St. Pölten. Zum Silvesterkonzert lud das Landesorchester die moldawische Sopranistin Valentina Nafornita ein, die schon im Sommer 2016 etwas enttäuschte. Leider änderte sich dieser Eindruck auch diesmal nicht; sie ist zwar eine bildhübsche Person, die mit Gesten und Posen überzeugend spielt, aber ihre wunderschöne Stimme nicht passend dazu einsetzen kann. Schade - sowohl die "Norina"-Arie aus Donizettis "Don Pasquale" als auch die "Juwelenarie" aus Gounods "Faust" hätten viel mehr Interpretation vertragen. Daß bei Adeles Lied aus der "Fledermaus" das Kokette völlig fehlte, mußte man mehr oder minder gelassen hinnehmen.
Die Tonkünstler waren bei dem Konzert auf einem superben Niveau, und Alfred Eschwé moderierte die Musiknummern auf seine bekannt verbindlich-charmante und humorvolle Art. Vielleicht hätte da und dort (Intermezzo aus "Cavalleria Rusticana" oder Dvoraks "Slawischer Tanz") ein interpretatorischer Feinschliff gut getan, doch zum Jahresausklang soll man nicht allzu beckmesserisch sein!
Und damit freut sich der EVOLVER-Klassikexperte mit seinen Lesern auf das Musikjahr 2017.
Herbert Hiess
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