Musik_Dimitri Schostakowitsch - Symphonie Nr. 4

Der Vergleich macht sicher

Mit diesen parallel erschienenen Aufnahmen derselben Symphonie kann man endlich das Vorurteil widerlegen, daß es keinen Unterschied bei Spitzenorchestern und Dirigenten gibt.    07.01.2005

Es ist interessant, wenn von einem selten gespielten und aufgenommenen Werk fast gleichzeitig zwei Neuproduktionen erscheinen: Dimitri Schostakowitschs "Symphonie Nr. 4 in C-Moll", bei Philips unter Valery Gergiev (Kirov-Orchester) und bei EMI unter Mariss Jansons mit dem kürzlich von ihm übernommenen Symphonieorchester des Bayrischen Rundfunks. Während Gergiev mit seiner Aufnahme einen Gesamtzyklus der Symphonien von Schostakowitsch fortsetzt, debütiert Mariss mit diesem Orchester und besagter Symphonie bei EMI.

Das Schostakowitsch-Werk ist in Wahrheit ein sehr schwieriges und anspruchsvolles, das beim ersten Hinhören sogar abschreckt. Mit einer Dauer von etwa 65 Minuten besteht es aus zwei "Monstersätzen", die ein kurzes Moderato umrahmen. Die Symphonie wirkt irgendwie total formlos, als ob sie aus lauter Einzelfragmenten bestünde; dabei paßte sie Schostakowitsch in die strenge "Sonatensatz-Form" ein. Sie ist ein revolutionäres (antistalinistisches) Werk, das lange aus politischen Gründen in der Versenkung verschwunden war.

Faszinierend ist der kurze Mittelsatz, der ganz verwirrt und verwirrend mit Streicherklang und Schlagwerk (Tempelblöcken) endet. Dafür beginnt der Schluß im dritten Satz nach vielen Rossini- und Bizet-Zitaten mit einem verlogen-feierlichen Marschfinale, um dann beklemmend in C-Dur zu enden.

Sowohl Gergiev als auch Jansons erzielten mit dieser Aufnahme ein Spitzenergebnis. Die Aufnahmen klingen auf höchstem Niveau unterschiedlich; beide Maestri kosten ihre interpretatorischen Spielräume aus. Wunderbar, wie die Emotionen vor allem im letzten Satz rüberkommen.

Wer sich da nicht entscheiden kann, dem seien beide Aufnahmen dringlichst angeraten.

Herbert Hiess

Dimitri Schostakowitsch - Symphonie Nr. 4 in C-Moll

ØØØØØ


Kirov-Orchester/Mariinsky-Theater, St. Petersburg

Valery Gergiev

Philips/Universal (D 2004)

 

Links:

Dimitri Schostakowitsch - Symphonie Nr. 4 in C-Moll

ØØØØØ


Symphonieorchester des Bayrischen Rundfunks

Mariss Jansons

EMI (D 2004)

 

Links:

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