Musik_Dim Lights, Thick Smoke And Hillbilly Music
Bärenstarke Hinterwäldler
Unter einem schön plakativen Titel legt das norddeutsche Raritätenlabel Bear Family die bisher umfassendste Country & Western-Anthologie der Musikgeschichte vor.
13.03.2009
Country-Anthologien gibt es wie Honky Tonks entlang des Highway 66 - und von ebenso unterschiedlicher Qualität. Verschiedene Firmen haben sich auf extrem unterschiedlichem Sound- und Präsentationsniveau dieser erfolgreichen Musik und ihrer Geschichte angenommen. Wenn man aber auf Produkte oder - besser gesagt - Gesamtkunstwerke aus dem Hause Bear Family stößt, kann man sich auf Qualität aus jeder Rille verlassen. In der im norddeutschen Hambergen beheimateten Plattenfirma kümmert man sich seit den 70er Jahren um die Wiederveröffentlichung verlorenen Musikmaterials oder obskurster Raritäten aus dem Oldie-, Country-, Rock- und Pop-Universum, rauchende Colts inklusive!
Dazu wird von Richard Weize und seiner Team-Familie aber nicht nur die Musik selbst wieder zum Leben erweckt, wobei die Original-Sounds aufwendig und klangbewußt restauriert werden, sondern man kümmert sich auch geradezu akribisch um die kontextuale Einordnung der Klänge sowohl in die Künstler- und Genre-Diskographie als auch im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang. Das heißt im Klartext, daß die musikalische Qualität auf höchstem Niveau angesiedelt ist, während die teilweise geradezu opulenten Begleitmaterialien die kompletten Besetzungen, einzigartige Photostrecken und oft die Abdrucke aller Original-Cover beinhalten, also keine billigen Einlegepapiere, sondern meist ganze Bände, oft in LP-Format sind.
Wenn bei Bear Family also nun eine Country & Western-Reihe erscheinen soll, kann sich der Hörer darauf verlassen, daß die bahnbrechend und weichenstellend für alle weiteren Veröffentlichungen und Epigonen sein wird. Und genau das ist mit dem aktuellen Schwung von fünf CD-Compilations, die unter dem vielsagenden Übertitel "Dim Lights, Thick Smoke And Hillbilly Music" die Ouvertüre für die ehrgeizigste und umfassendste Sammlung von Country-Nummern dies- und jenseits des Atlantiks darstellen, auch bestens gelungen. Wer die Vorgängerserien "Blowin´ The Fuse", die sich mit der Geschichte der R´n´B-Music auseinandersetzt, und die Soul-Krönungs-Sampler-Reihe "Sweet Soul Music" kennt, wird dies definitiv unterschreiben können.
Rauchende Colts bei "Top of the Pops"
Jede der hier erschienen CD-Jukeboxes ist randvoll mit Songs aus dem jeweiligem Jahr, im Schnitt sind das 27(!!!). Und bei der Song-Auswahl haben die Compiler genau auf die Balance zwischen Klassikern aus den damaligen Billboard-Charts (Leon Payne, Gene Autry, Ernest Tubb), dazugehörigen Originalversionen und teilweise echten Obskuritäten geachtet: Einfühlsamen Country-Nummern folgt fetziger Western-Swing, Bluegrass trifft Folk.
Zusammen mit der brillant aufgemachten und von Informationen und Anekdoten überquellenden Begleitlektüre (jeweils um die 70 Seiten) kann der Käufer/Enthusiast den kompletten und komplexen Geburtsvorgang des Country-Genres verfolgen, von den zunächst spöttisch als Hinterwäldermusik abgekanzelten und in manchen Charts mit Race-Music fehlkombinierten Anfängen bis in die 70er Jahre; damit soll dann laut Info das ehrgeizige Projekt enden.
Geographisch kann man von den Blauen Bergen über Memphis bis ins Country-Mekka Nashville und darüber hinaus ins Outer-Limit, zu den Texas Outlaws wandern. Label und Editor haben ganze Arbeit geleistet; dabei herausgekommen ist die erste wirklich umfassende historisch-kritische C&W-Edition in Ton, Text und Bild.
Hank Hitler and Churchill-Country
Wir schreiben das Jahr 1946: Hier beginnen Bear Family und Musikhistoriker/Grammy-Preisträger Colin Escott, fundierter Kenner der Country-, Rockabilly- und Folk-Musik, die klingend-tönende Sightseeing-Tour. Hitler und Japan sind besiegt, der Zweite Weltkrieg ist vorbei. Jetzt, nach der Kriegsbewirtschaftung, ist es den großen und kleinen Plattenlabels wie RCA, Decca oder MGM wieder möglich, Schellack-Platten zu pressen, während seitens der Konsumenten die Bereitschaft wächst, zu Hause die Singles und frühen 10"-Langspielplatten auf den Plattentellern rotieren zu lassen. Da der Kalte Krieg für die meisten noch unsichtbar scheint - nur wenige Propheten wie Churchill prognostizieren die neue Frontstellung -, beginnt die amerikanische Gesellschaft "to set up a home and fill it with records". Man öffnet der Musikkultur die Türen, und damit steht der massenhaften Verbreitung der Hillbilly-Singles nichts mehr im Wege ...
Foggy-Mountain-Sound
Das hier vorliegende erste Jahrfünft präsentiert die angeblich uramerikanische Musik noch als den Sound, den Greil Marcus einst als den des "unheimlichen Amerika" charakterisiert hat: Die frühe Country-Music wird von Banjo, Fiddle und Gitarre dominiert, letztere oft noch nicht mit dem Mut zur Verzerrung angeschlagen, das Schlagzeug galt als Teufelswerk.
Die Sänger, die noch knietief in der Folk-Tradition stecken, oft sogar noch in der aus dem alten Europa, klingen rauh, oft sehr nasal und rezitieren voller Inbrunst aus dem Alltag der echten, authentischen oder hergestylten Hillbillies. Die Texte sind voll des wahren Lebens und thematisieren Probleme wie den Umstand, mit nur fünf Dollar in der Tasche am Beginn des Wochenendes zu stehen.
Rustikal, archaisch, aber auch (lebens-)lustig und schräg stimmen hier Tex Ritter, Hank Williams (aus dessen Repertoire viele Songs in ihren historischen Originalversionen zu hören sind) oder Cowboy Copas, einer der ersten Superstars der Szene, in einen musikalischen Chor ein, der später zum erfolgreichsten, aber auch teilweise reaktionärsten und scheinheiligsten Musikzweig Amerikas werden sollte. Es wird spannend, wenn Colin Escott in den noch ausstehenden Begleitbüchlein dann seine Insider-Informationen aus der Sodom´n´Nashville-Glitzerwelt offenbaren wird ...
Emmerich Thürmer
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