Musik_Delayer - Breath by Breath by Breathing

Von Newcastle in die Mongolei

Früher erklärte seine Band Frankreich kurzerhand zur Sowjetzone. Heute aber widmet sich Andrew Eardley eher positiv-esoterischen und Ethno-Sounds.    16.07.2004

Andrew Eardley war eines der drei Mitglieder der legendären Industrial/Avantgarde-Pioniere Zoviet France, als die am Zenit ihres Schaffens waren. Die Mannen aus dem englischen Newcastle fielen damals durch ihre sensationelle Cover-Gestaltung auf: War ihre Debüt-LP noch in einen zugeschnittenen Jutesack verpackt, so folgten bald Cover aus Holz, Teerpappe, ölgetränktem Leinen und als Krönung des Ganzen eine Kassette in einer speziell dafür hergestellten Porzellanvase, komplett mit Inserts und zwei radioaktiv verseuchten Vogelfedern.

Während Gründungsmitglied Robin Storey die Band verließ, um sein Nachfolgeprojekt Rapoon ins Leben zu rufen, und Ben Ponton Zoviet France mehr oder minder im Alleingang weiterführte, widmete sich Eardley nacheinander mehreren unterschiedlichen Genres. Zuerst überraschte er mit tanzbaren Beats als Horizon 222 und Ingleton Falls, danach konzentrierte er sich wieder auf experimentellere Klänge und rief das Projekt Delayer ins Leben. Für dieses studierte er mongolischen Obertongesang, den er dann elektronisch bearbeitete und verzerrte. Daß sowas durchaus auch live funktionieren kann, bewies er vor einem halben Jahr in einem sensationellen Konzert im Wiener rhiz. Als Tonträger liegt jetzt die CD "Breath by Breath by Breathing" auf dem kanadischen Liebhaber-Label X-ZF vor.

Sieben Stücke sind auf der CD zu finden - und so wie der Albumtitel sind auch die Namen der einzelnen Tracks programmatisch zu lesen: "Urban Chant" oder "Feel the Warmth" zeigen, daß sich Eardley von seinen Industrial-Wurzeln verabschiedet hat und ab sofort in positiveren, ja fast schon esoterischen Gewässern fischt. Dabei haben einige der Tracks bereits eine lange Geschichte. "Leave the Streets" beispielsweise wurde bereits vor Jahren für Zoviet France aufgenommen, aber nie verwendet. "As You Let Go" ist die Studioversion einer Nummer, die live mit Horizon 222 gespielt wurde. Das Highlight des Albums ist allerdings ohne Zweifel das Stück "Urban Chant", eine 20minütige Vokal-Meditation, die von Eardleys Kehlgesang dominiert wird und mit viel Echo und Delay (sic!) arbeitet.

Wie alle Releases auf dem X-ZF-Label, das neben Delayer solch große Namen wie Muslimgauze, Omenya oder Birds of Tin aufweisen kann, ist auch die vorliegende CD auf nur 100 Stück limitiert. Wer sich ein zukünftiges Sammlerstück nicht entgehen lassen will, möge zugreifen, so schnell er kann. (Auch wenn man auf ebay irgendwann mit einem raren Zoviet-France-Seitenprojekt Geld verdienen möchte...) Und wer seiner Sammlung ein wunderschönes, ruhiges Stück Musik einzuverleiben gedenkt, hat eigentlich den allerbesten Grund, sich das vorliegende Album nicht entgehen zu lassen.

Walter Robotka

Delayer - Breath by Breath by Breathing

ØØØØØ


X-ZF (GB 2004)

 

erhältlich bei Mord + Musik

 

Links:

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