Clark - Body Riddle
ØØØØ 1/2
Warp/edel (GB 2006)
Auf seinem dritten Longplayer generiert der Brite ein musikalisch-philosophisches Konstrukt, das weit über die Grenzen von "Intelligent Dance Music" (IDM) hinausgeht. 12.01.2007
Bisher wollte es Chris Clark nicht so recht gelingen, als eigenständiger High-Tech-Elektroniker wahrgenommen zu werden. Er teilte dieses Schicksal mit vielen anderen Künstlern, die aus dem allzutiefen Aphex-Twin-Fahrwasser kaum herauskamen. Seine neuester Streich "Body Riddle" beweist nun endlich das Gegenteil - und etabliert ihn als einen, wenn nicht gar den führenden Elektronik-Capo des vielgerühmten Warp-Labels.
Die Zeiten, als Clark noch mit zersampleten Metal-Gitarren sein musikalisches Minenfeld beackerte ("Clarence Park", 2001), sind wohl endgültig vorbei. Ebenso Vergangenheit ist die Ära, in der er mit dreidimensionalen THX-Schockeffekten die spärlich aufkeimenden Ambient-Atmosphären brutal zunichte machte ("Empty The Bones Of You", 2003). Damals drohte er in das ultradestruktive Broken-Beat-Genre abzudriften, das von manischen Zerstücklern und Speedfreaks wie Richard Devine und Otto von Schirach dominiert wird.
Doch Clark ist - anders als die soeben Genannten - Brite. Und die Typen von der Insel kochen ja bekanntlich immer ihr eigenes Süppchen. Schon auf "Empty The Bones Of You" kam eine gewisse Faszination für den menschlichen Körper zum Vorschein. Vielleicht waren die "Bones" des Albumtitels sein erster, wenngleich zaghafter Hinweis auf die mentale Konstitution, die hinter Clarks Kompositionen steckt.
Nun, drei Jahre danach, liegt ein Tonträger auf dem Teller, der schlüssiger nicht sein könnte. Clark schafft es mit spielerischer Leichtigkeit, verschiedene Electronica-Versatzstücke (etwa Boards of Canada, Aphex Twin, Disjecta etc.) zu einem eigenständigen, pulsierenden Ganzen zusammenzufügen, das eine ähnliche Beschaffenheit wie das menschliche Gehirn besitzt. Schließlich ist ja unser Gehirn das einzige Organ, das sich selbst analysiert.
Der Schlüssel zu "Body Riddle" ist also nur auf den ersten Blick "rätsel"-haft. Clark stellt dieselbe Frage, die schon die alten Griechen beschäftigte: Gibt es eine Seele oder eine Art Fluidum, das - nachdem sich unsere sterbliche Hülle aufgelöst hat - die Zeiten überdauert? Die Philosophen von einst stellten fest, daß wir in unsere Körper eingesperrt sind, jeder für sich. Auch Clark verfällt mitunter in einen Zustand der Selbstbetrachtung, fasziniert von dem Automatismus, der den menschlichen Körper antreibt, seine Muskel bewegt, während unser Gehirn doch scheinbar immer am selben Platz bleibt.
Genau diese Überlegungen prägten schon vor rund 20 Jahren die EBM (Electronic Body Music). Die Faszination des menschlichen Körpers, die Fähigkeit zur Introspektion und Kontemplation wurden damals jedoch bedingt durch die (noch) primitive Studiotechnik auf einen ebenso simplen Nenner gebracht (siehe "Isn´t It Funny How Your Body Works" von Nitzer Ebb, 1985).
Heute, Lichtjahre später, stehen uns nicht nur neue Musik-Technologien (Granularsynthese, Computer usw.) zur Verfügung, sondern auch die medizinische Gehirnphysiologie stellt Woche für Woche neue Erkenntnisse über die chemische Beschaffenheit unseres Ichs vor. Darüber hinaus liefert uns die moderne Systemtheorie neue Ansätze, mit denen wir uns selbst im globalisierten Unbehagen besser erkennen und positionieren können. Doch ungeachtet dieses enormen intellektuellen Fortschritts bleiben die existentiellen Fragen immer gleich.
Zurück zum Album: Mit "Herr Bar" und "Frau Wav", den pärchenhaften Openern, dringen wir gleich in die duale Materie ein, aus der Chris Clark seine Stücke konglomeriert. Während "Herr Bar" (Bar bedeutet Schlag im Sinne eines Beats) straff rhythmisch organisiert ist, liegen bei "Frau Wav" (Welle) mäandernde Harmonien an der Oberfläche. Der traditionellen Betrachtung von Yin und Yang folgend gilt uns das Rationale, Faktische als männliches Element, dem weiblichen werden hingegen rückwärtsgewandt reflexive Sichtweisen zugeschrieben.
"Springtime Epigram" könnte tatsächlich von der letzten Boards of Canada stammen. Doch aufgrund der aufsteigenden Harmoniefolgen macht sich bald eine gewisse positive Stimmung bemerkbar, die sicherlich zu Clarks Markenzeichen zählt. "Herzog" ist einer der besten Tracks auf dieser an denkwürdigen Sound-Experimenten nicht gerade armen Scheibe. Auch hier dringt durch den dumpf dröhnenden Alltag plötzlich ein messerscharfer Sonnenstrahl, der den Nebel des Zweifels ein für allemal beiseite schiebt. Ob es die Freude der Selbsterkenntnis oder die Euphorie der Jugend ist, die Clark erstmals singen läßt, bleibt der Interpretationsfreudigkeit des Hörers überlassen. "Ted" taumelt anfänglich wie ein betrunkener MC, bevor sich der Track in einen der druckvollsten HipHop-Songs verwandelt, den Nightmares on Wax nie komponiert haben. "Roulette Thrift Run" wiederum ist eine herbe Exkursion in frühere Clark-Alben.
So könnte man ewig weiterrudern durch die wunderbaren Klangwelten, die Clark für uns erfindet. Man sollte jedoch darauf hinweisen, daß - obwohl "Body Riddle" Clarks bislang kohärentestes Werk darstellt - in jedem Song noch immer übermäßig viele Ideen stecken, die Minderbegabte veranlassen würden, aus jeder einzelnen ein ganzes Album zu stricken.
Durch Clarks Arbeitsweise, "neuronale" Netzwerke zu bilden, stoßen wir unweigerlich auf Deleuzes Rhizom-Theorem. Die Teilchen der Musik bewegen sich, drängen auseinander, ineinander, verwickeln sich, fließen in alle Richtungen zur selben Zeit am gleichen Ort. Passagen wie "Vengeance Drools" erinnern gekonnt an alte "Shortwaves" (Kurzwellenempfänger) und pulsieren beruhigend, während uns Tracks wie "Night Knuckles" mit ihren ultraschnellen und glasklaren Xylophonläufen sofort und abrupt aus jeglicher Schläfrigkeit reißen.
Abgeschlossen wird "Body Riddle" von einer wunderschönen IDM-Ambient-Melange, die Clarks Weg nach vorne zeigt. "Autumn Crush" überschreitet nun endgültig die engen Grenzen des Körpers (und die der Intelligent Dance Music) und führt in einen anderen Bereich, einen neuen Raum, der eng mit Programmusik verwandt ist. Klangmalerisch erzählt Clark, wie an den letzten Spätsommernachmittagen erste Vorboten des drohenden Herbstes auftauchen. Wir alle kennen die Zeit, da der erste kühle Nordwind über die Haut der Sonnenanbeter in den Freibädern streicht und eine leichte Gänsehaut hervorkitzelt. Langsam verändert sich das Wetter (der Song), die Beats lösen sich im feuchten Morgendunst allmählich auf, und schließlich gewinnt Regen die Oberhand. Man kann die Veränderung förmlich riechen (und hören), und im Hintergrund seufzen die Pappeln.
Fazit: Wir sind am Ende und wieder am Anfang. Unsere Körper wandern durch das Universum, unser Gehirn bleibt immer am selben Platz. Vielleicht gibt es eine Nachwelt; beim Hören von "Body Riddle" ist man selbst als Atheist geneigt, dies zu glauben. Mit psychotronischen Taktiken (Velocityjumping, Soundmorphing) öffnet Clark Türen in unbewußte Sphären, so als könnte er mit unseren Archetypen kommunizieren. Wer es nicht glaubt, höre bitte selbst.
Clark - Body Riddle
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