Musik_P. I. Tschaikowski - Charodeyka
Verhexende Lichtgestalt
Besser als mit der exzellenten Aufführung der russischen Märchenoper konnte man die Saison 2014/15 im Theater an der Wien gar nicht einläuten. Da überboten sich Spitzensänger, ein brillanter Regisseur und ein Orchester mit einem Dirigenten in Höchstform. Wenn das als Omen für die neue Spielzeit gilt, darf man sich viel erwarten.
10.10.2014
Tschaikowskis Märchenoper "Charodeyka" erzählt von einer jungen Frau, die alle Männer ver- und bezaubert und letztlich als Mittel für eine Politintrige instrumentalisiert wird. Mamyrov, der Schreiber des Fürsten, sieht in ihr die Gelegenheit, den ungeliebten Fürsten loszuwerden. Besagte Frau heißt Nastasja und ist die Wirtin (auch "Kuma" genannt) eines Gasthauses, das sie zum Zentrum der Freiheit macht: Von ihr erhoffen sich die vom Schreiber unterdrückten Menschen Zuflucht und Zuspruch.
Letztlich beinhaltet die Oper alle realitätsfremden Klischees, die man sich von Rußland nur vorstellen kann: Depression, Obrigkeitshörigkeit (die manchmal durchbrochen wird), der schnelle Griff zum Alkohol usw. usf.
Doch nicht nur Nastasja ist bezaubernd, sondern auch die großartige Musik von Tschaikowski. Anders als im "Eugen Onegin" wird man hier nicht mit komponierten Szenen konfrontiert, sondern vielmehr mit kompakt instrumentierten vier Akten, die kaum übergreifende Melodiebögen enthalten. Die einzige große musikalische Szene ist der Schluß des dritten Akts mit dem Duett Nastasja und Juri.
Der gebürtige Essener Christof Loy konnte mit seiner Regiearbeit vollends überzeugen. Statt mit überbordender Ausstattung überzeugte er mit einfachsten Mitteln und einer hervorragenden Personenführung. Nichts blieb dem Zufall überlassen; jede Geste und jeder mimische Ausdruck hatten ihren Sinn. Großartig waren auch die häufigen subtilen Szenenwechsel, bei denen man unmerklich von einem Wohnraum in eine Waldszenerie transferiert wurde. Und besonders berührend wirkte der Schluß, als die vergiftete Nastasja plötzlich aufstand und als "Lichtgestalt" von der Szenerie verschwand.
Musikalisch war die Produktion erstklassig, was vor allem dem ORF-Orchester und dem Dirigenten Mikhail Tatarnikov zu verdanken war. Das Orchester ist in seiner Qualität sehr vom Dirigenten abhängig, was leider im Sommer 2014 bei der "Traviata" bewiesen wurde. Diesmal - unter Tatarnikov - zeigten sich die Musiker allerdings von ihrer besten Seite und ließen betörende Klänge hören. Phantastisch waren vor allem die Holzbläser bei ihren schwierigen Soli.
Der Gesang hatte bei dieser Aufführung an der Wien wieder einmal Weltklasse - ob vom stimmgewaltigen Maxim Aksenov als Juri, Vladislav Sulimsky und Agnes Zwierko als frustriertem Fürstenehepaar oder Vladimir Ognovenko (Schreiber) als begeisterungswürdigem "schwarzer" Baß. Den Höhepunkt lieferte jedoch die in jeder Hinsicht bezaubernde Asmik Grigorian. Die in Vilnius geborene Sopranistin ist auf dem besten Weg zu einer Weltkarriere. Sie hat nicht nur einen strahlenden und höhensicheren Sopran, bei ihr leben jede Phrase und jede Nuance - und das niemals aufgesetzt, sondern mit einer wunderbaren Natürlichkeit.
Leider hat die junge Litauerin in den nächsten Jahren keine Auftritte in Wien geplant; sie wird aber demnächst unter Valery Gergiev im Mariinski-Theater die Desdemona in Verdis "Otello" singen. Dem Theater an der Wien ist zu danken, daß man diese großartige Frau in Wien kennenlernen durfte.
Herbert Hiess
Kommentare_