Musik_Bruckner - Sinfonie Nr. 5

Musikalischer Wettstreit

Nikolaus Harnoncourt und Christian Thielemann haben ungefähr soviel gemeinsam wie Microsoft und Apple. Von den beiden Dirigenten möchte man allerdings keinen missen ...    19.05.2005

Die fünfte Symphonie des oberösterreichischen Romantikers Anton Bruckner ist mit ihren fast 80 Minuten Länge und den zwei monumentalen Ecksätzen eine Bewährungsprobe für jeden Dirigenten. Einerseits muß er vernünftig mit den Tempi und der Dynamik umgehen, andererseits muß er den Aufbau so gestalten, daß die Symphonie nicht zu einem symphonischen Stückwerk ohne Zusammenhang wird. Keinerlei Schwierigkeiten bereitet diese Aufgabe den beiden erfahrenen Orchesterleitern Nikolaus Harnoncourt und Christian Thielemann, die auf ihrer Art zu dirigieren bezogen sehr gegensätzliche Charaktere sind. Wie sehr sich die beiden unterscheiden, wird an den ungleichen Interpretationen von Bruckners "Symphonie Nr. 5 in B-Dur" überdeutlich:

Der steirische Erzherzog-Johann-Nachfahre Harnoncourt ist ein Forscher und Tüftler, der immer versucht, den Werken auf den Grund zu gehen. Er liebt harte und schroffe Akzente, ein Bestreben, das sich in den letzten Jahren zugunsten der Musik aber abgeschwächt hat. Er hat einen interessanten Zugang zur romantischen Musik, den man als überzeugend und mitreißend beurteilen kann - allerdings ohne daß er besonders einzigartig wirkt. Er bevorzugt bei Bruckners Symphonie eine rasche Gangart, wobei die Tempi nie gehetzt wirken. Manchmal könnte man sich allerdings dann doch mehr Ruhe wünschen. Erwähnenswert im Rahmen der Veröffentlichung ist auch die für den Hörer sehr interessante zweite CD, auf der man akustisch einer Probe Harnoncourts mit den Wiener Philharmonikern beiwohnen kann.

 

Thielemann ist ein richtiger Antipode zu Harnoncourt. Er nimmt die Musik weniger von ihrer wissenschaftlichen Seite, sondern mehr aus dem Bauch heraus. Diese Aufnahme beweist seine Liebe zur Romantik und speziell zu den Werken Anton Bruckners. Er wählt die Tempi bedächtig und konzentriert, schafft es wunderbar die Spannung zu halten und gewaltige Steigerungen zu produzieren. Damit ähnelt er sehr Sergiu Celibidache, einem seiner Vorgänger als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker. Mit dem bayerischen Orchester arbeitet er hoffentlich noch lange zusammen, diese gemeinsame Erstveröffentlichung ist ihm nämlich phantastisch gelungen.

Obwohl die Dirigenten so gegensätzlich sind haben ihre Neuproduktionen vor allem eines gemeinsam: Sie sind von höchster Qualität und eigentlich gar nicht vergleichbar. Es wird wahrscheinlich genug Bruckner-Hörer geben, die sich beide Aufnahmen zulegen werden. Und das ist gut so.

Herbert Hiess

Bruckner - Sinfonie Nr. 5

ØØØØ 1/2


BMG Classics (D 2005)

Wiener Philharmoniker

Nikolaus Harnoncourt

 

Links:

Bruckner - Sinfonie Nr. 5

ØØØØØ


Deutsche Grammophon/Universal (D 2005)

Münchner Philharmoniker

Christian Thielemann

 

Links:

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