Musik_Berlioz - Symphonie Fantastique/La Mort de Cléopatre

Die letzte ist immer die beste

Unter den vielen Releases zum 200. Berlioz-Geburtstag stellen Gergiev und die Wiener Philharmoniker alles in den Schatten.    27.11.2003

Berlioz "Symphonie Fantastique" genauer beschreiben zu wollen, bedeutet für Musikfreunde ungefähr dasselbe, wie Eulen nach Athen zu tragen - so oft wurde dieses beliebte Musikstück bereits in bester Qualität veröffentlicht. Der russische Weltdirigent Valery Gergiev setzte sich dennoch mutig dem Risiko eines Vergleichs mit den vielen meisterlich eingespielten Ausgaben des Werks aus. Wahrscheinlich glaubte aber nicht einmal er, daß er mit der vorliegenden Produktion so brillieren würde können.

Mit den Wiener Philharmonikern, die hier so gut wie noch selten spielen, liefert er eine der poetischsten und wildesten, brillantesten und perfektesten Interpretationen. Einerseits fegt er wie wild durch den Ballsaal ("Ballszene"), dann schwelgt er in poetischen Bilderzählungen ("Szene am Land"), begleitet uns zum Richtplatz und fliegt zuletzt mit uns durch den Hexensabbath. Gergiev gelingt es, vom ersten bis zum letzten Takt zu fesseln, und er entläßt weder den Hörer noch das wunderbare Orchester aus seinem Bann.

Als "Füller" spielte er noch dazu mit der russischen Mezzosopranistin Olga Borodina "La Mort de Cléopatre" ein. Die russische Diva kann ihre fulminante Stimme scheinbar mühelos von einem zarten Piano bis zu einem riesigen Forte steigern. Wer beide Produktionen live erleben durfte (wie der Autor dieser Zeilen), kann nur bestätigen, daß das Konzert und die Proben zu den wenigen Höhepunkten der vergangenen Saison zählten. Technik kann verfälschen, aber für alle anwesenden Zuhörer war klar, daß Frau Borodina eine der interessantesten Erscheinungen der letzten Jahre ist - diese Stimme braucht man nicht künstlich zu vergrößern. Es ist einfach großartig, wie sie und Gergiev mit den Kontrabassisten die letzten Seufzer von Kleopatra vorführen.

Alles in allem also eine Klassikneuerscheinung, auf die man nicht verzichten sollte.

 

Herbert Hiess

Berlioz - Symphonie Fantastique/La Mort de Cléopatre

ØØØØØ


Philips/Universal (D 2003)

Olga Borodina (Mezzosopran)

Wiener Philharmoniker/Valery Gergiev

 

Links:

Kommentare_

Musik
Weihnachtliche Musiktips im Corona-Jahr

Geschenktips für Klassikfreunde

Hören darf man heuer auch ganz ohne Maske. Grund genug für den EVOLVER-Klassikexperten Herbert Hiess, seine Musiktips für die Weihnachtszeit unter den virtuellen Christbaum zu legen.  

Musik
Orchesterkonzert der Wiener Philharmoniker

Seltsame Zeiten

Nicht nur Thomas Angyan, der zukünftige Ex-Chef des Wiener Musikvereins, hätte sich den Abschluß seiner Karriere - ebenso wie Staatsoperndirektor Dominique Meyer - anders vorgestellt. Wie so viele Kulturschaffende gingen beide der angeblichen Pandemie in die Falle.  

Print
Rudolf Buchbinder im Interview

Reise durch den Beethoven-Kosmos

Wer Rudolf Buchbinder ist, braucht man eigentlich niemandem mehr zu erklären. Der sich im 74. Lebensjahr befindende Star-Pianist ist in Kulturkreisen weltweit ein Begriff - und vor allem in Sachen Beethoven eine Kapazität, an der man nicht vorbeigehen kann und darf.  

Musik
Wiederaufnahme in der Berliner Staatsoper

Carmen in der Corona-Krise

Pech oder Schicksal - wie auch immer man es bezeichnen mag: Daß die großartige Berliner "Carmen" schon nach der zweiten Aufführung von Amts wegen gestoppt werden musste, hätte sich niemand gedacht. Jetzt kann man sie wohl einige Zeit nur als Stream oder Aufzeichnung betrachten. Die Staatsoper unter den Linden zeigt mit ihr jedenfalls, daß sie dank ihrer hervorragenden Musiker viele der angeblichen Spitzenhäuser übertrifft.  

Stories
"Der Vorname" in den Kammerspielen

Makabre Wohnzimmerkomödie

Wie Political Correctness als brutale Verlogenheit entlarvbar ist, zeigt das Stück "Der Vorname" des Autorenduos Patellière und Delaporte. Herbert Hiess hat es in den Kammerspielen erlebt.  

Musik
Last-Minute-Ideen für Klassikliebhaber

Weihnachtliche CD-Tips aus Wien

Alle Jahre wieder ... kommt nicht nur das Christuskind, sondern auch der "Streß", der oft zu Geschenkskäufen in letzter Minute führt. Um Verlegenheitsgaben wie Socken oder Bonbonnieren zu umgehen, hat der EVOLVER-Klassikexperte einige Tips zusammengestellt, die nicht nur eingefleischten Klassikliebhabern Freude bereiten werden.