Musik_Neues von den Orchestern
Beethoven & Co. in Heavy Rotation
Eine Aufzählung aller bisher eingespielten Beethoven-Symphonien ergäbe eine ellenlange Liste - wobei allerdings nur wenige der Aufnahmen tatsächlich musikalische Meilensteine sind. Rattles Neueinspielung mit den Berlinern auf deren Eigenlabel ist einer davon.
25.05.2016
Offenbar gehören die Beethoven-Symphonien zu den "Pflichtübungen" für sämtliche Orchester und Dirigenten. Die Berliner Philharmoniker sind (zumindest quantitativ) auf diesem Gebiet führend. Nach drei Zyklen unter Karajan und zwei unter Abbado veröffentlichten sie jetzt auf ihrem eigenen Orchesterlabel wieder eine Gesamtausgabe - diesmal unter Sir Simon Rattle.
Der britische Chefdirigent des großartigen Orchesters spielte die Symphonien bereits 2002 mit der EMI (heute Warner) mit den Wiener Philharmonikern ein. Diese Produktion hatte allerdings nur mäßigen Erfolg, da sowohl die Qualität der Aufnahmetechnik als auch die des Orchesters nicht wirklich optimal waren. Die Wiener Musiker haben anscheinend Pech mit ihren Beethoven-Produktionen. Böhm und Bernstein waren noch diejenigen, die denkwürdige Aufnahmen dirigierten; dann wurden die Resultate von Mal zu Mal schlechter. Den Tiefpunkt erreichte Christian Thielemann bei Sony. Daß Andris Nelsons eine Gesamtaufnahme mit den Wienern produzieren darf, kann man aus heutiger Sicht nur als gefährliche Drohung bezeichnen - zumal der Maestro, höflich gesagt, noch sehr ausbaufähig ist.
Die aktuelle Einspielung der Berliner unter Rattle gehört jedoch absolut ins Spitzenfeld. Sie erschien auf dem eigenen Label des deutschen Meisterorchesters in vertraut wunderschöner Aufmachung und enthält nicht nur die Audio-CD, sondern auch eine DVD der gesamten Produktion, die äußerst sehens- und hörenswert ist.
Rattles Interpretation kann sich wirklich hören (und sehen) lassen, obwohl sie manchmal zu "leichtfüßig" daherkommt; es fehlen da leider die europäische "Erdenschwere" und öfters das Titanenhafte Beethovens. Die Neuaufnahme kann sicher nicht mit jenen von Karajan oder Böhm mithalten, hat aber trotzdem einen fixen Spitzenplatz bei den Gesamteinspielungen der Symphonien.
Auch die Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks war in Sachen Neuerscheinungen nicht faul. Neben zwei hervorragenden CDs unter Mariss Jansons (eine mit Strawinsky und Mussorgski, die andere mit Werken von Suk und Dvorak) gibt es nun auch eine herausragende Produktion von Mahlers 1. Symphonie unter Yannick Nézét-Séguin zu hören. Der überaus talentierte Kanadier und Chef des Philadelphia Orchestra zauberte mit dem bayrischen Spitzenorchester eine hörenswerte Aufnahme dieses großen Werks. Das Orchester klingt dabei immer präzise und dynamisch präsent - toll, wie der Maestro die österreichischen Eigenarten der Symphonie hervorhebt. Mitreißend ist auch der Landler im zweiten Satz; hervorragend der dritte Satz mit dem "Frère Jaques"-Thema. Nur das Finale hätte man sich vielleicht noch packender interpretiert vorstellen können ...
Alles in allem haben die Bayern damit aber ein echtes Highlight geliefert.
Herbert Hiess
Kommentare_
Muss widersprechen:Ich finde Thielemanns Beethoven toll, in seiner Pastorale, um nur bein Beispiel zu nennen, hab ich Dinge gehört, die ich in keiner (!) anderen Aufnahme entdecken konnte. Von der neuen
Rattle-Einspielung kenne ich nur die Tonproben aus dem Netz, die
allerdings überzeugen mich nicht. Wenn schon "flott" und "transparent",
dann gleich René Leibowitz!