Musik_Klassischer Counterstrike
Tenorale Überflieger
Das hat es noch auf keiner der prominenten Theater- und Konzertbühnen von heute gegeben: In barocker (Kastraten-)Tradition standen fünf Countertenöre und ein "echter" Tenor gemeinsam auf der Bühne. Die Intendanz des Theaters an der Wien konnte die konzertante Version der Erfolgsaufführung ans Haus holen – und half, mit Leonardo Vinci einen herausragenden Barockkomponisten wiederzuentdecken.
03.12.2012
Um allfälligen Mißverständnissen gleich vorzubeugen - es handelt sich hier nicht um den legendären Lenoardo DA Vinci (der wurde 238 Jahre früher geboren), sondern um den 1690 in Strongoli zur Welt gekommenen Komponisten. Wie sich nun herausstellt, ist der Musiker zu Unrecht so wenig bekannt. Seine Musik ist gehaltvoll, furious und einfach mitreißend.
In barocker Tradition schrieb Vinci alle Partien (außer der des Artabanos) für Kastraten; nach den Vorschriften der strengen italienischen Kirche war für Frauen kein Platz auf den Konzertpodien oder Opernbühnen. Obwohl es heute viel mehr Countertenöre als noch vor einigen Jahren gibt, ist diese Oper fast unbesetzbar, da fünf solcher Sänger auf einem Fleck nicht ganz mühelos organisierbar sind.
Der berühmte, in Österreich ausgebildete Countertenor Max Emanuel Cenčić schaffte es jedoch, ein countertenorales Quintett für eine szenische Serie in Frankreich, eine CD-Produktion und einige konzertante Aufführungen zu engagieren. Das Fazit ist, daß diese Produktion höchstwahrscheinlich die Oper des Jahres 2012 wird - und für den hervorragenden Tonträger bei Virgin darf man sicher auch noch einige Preise erwarten.
Ob Jaroussky oder alle anderen teilnehmenden Künstler - ein so hochwertiges Ensemble war schon lange nicht mehr in Österreich zu hören. Das Concerto Köln und Diego Fasolis spielten dazu so berauschend und perfekt, daß andere Barockensembles eigentlich den Hut nehmen könnten.
Über das Libretto von Pietro Metastasio gibt es nicht viel zu sagen; es handelt von irgendwelchen Kriegswirren zwischen Persern und Griechen mit (no na) amourösen Abenteuern. Da die Frauen ebenfalls von Männern gespielt wurden und diese am Konzertpodium quietschende Entsetzensschreie von sich gaben und sogar einen Ohnmachtsanfall simulierten, rutschte der Schluß unfreiwillig komisch in eine Travestieshow ab. Aber auch das hielt dieses wahrhaft denkwürdige Konzert problemlos aus.
Herbert Hiess
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