Musik_Ariadne auf Naxos
Göttliche Frauen-Power
Eine lustiger Zufall in der Programmgestaltung machte aus der der Strauss-Oper sozusagen eine Fortsetzung von Händels "Semele" - aber dazu später. Auf alle Fälle war die Aufführung unter der Regie von Harry Kupfer eine wahre Sternstunde. Bedauerlich ist nur, daß nach dieser Serie von dieser Produktion nichts mehr zu sehen sein wird.
22.10.2010
Richard Strauss’ "Ariadne auf Naxos" ist eines der großartigsten Werke der gesamten Opernliteratur. Nach der Vorlage von Molières "Le Bourgeois Gentilhomme" ("Der Bürger als Edelmann") konzipierte das Erfolgsduo Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal dieses einzigartige Meisterwerk, das ein Panoptikum der Musik- und Theatergeschichte ist.
"Ariadne" ist eine Oper in einem Aufzug mit einem Bühnenvorspiel. Nach Art der Commedia dell'arte versammeln sich auf der Bühne sowohl die Protagonisten der "ernsten" Oper als auch die der "komödiantischen" Intermedien, die von den Harlekinen ausgeführt werden. Das Vorspiel beschreibt die Rahmenhandlung - nämlich, wie es zu dieser Aufführung in dem so hochherrschaftlichen Haus in Wien kommt.
Der ostdeutsche Meisterregisseur Harry Kupfer läßt das gesamte Werk auf offener Bühne und ohne Pause spielen. Wenn das auch für alle Beteiligten (inkl. die Zuschauer) anstrengend ist, so ist es für die Dramaturgie in dieser Aufführung doch der einzige Weg. Die Zentralfigur in Kupfers Regie ist der Komponist; bei dieser Figur werden die autobiographischen Züge von Richard Strauss sehr fokussiert. Kupfer ist bis jetzt der einzige, der dies so genial herausgearbeitet hat.
Hans Schavernoch läßt das Werk in einem Flugzeughangar spielen. Nach dem Vorspiel verwandelt sich alles mittels riesiger Bildschirme in die Insel Naxos mit Meeresstimmung. Exzellent ist wie immer Kupfers Personenführung, die bei diesem Stück enorm schwierig ist, da sich bis zu 20 Personen gleichzeitig auf der Bühne bewegen. Entbehrlich sind jedoch ein paar kleine "Gags" wie Bildschirme mit Börsenkursen oder die Darstellung des Tenors Johan Botha als "Bacchus". Warum man ihn als Pavarotti-Parodie im Frack und hypertrophem weißen Taschentuch auftreten lassen muß, ist nicht wirklich klar. Für einen so übergewichtigen Menschen wie Botha hätte sich ein Regisseur dieses Kalibers auch etwas anderes einfallen lassen können ...
Doch der Sänger ist nicht nur in dieser Hinsicht ein Schwergewicht - diese extreme Tenorparodie haben noch wenige vor ihm so souverän intoniert. In der Kürze von maximal 20 Minuten steht der Tenor hier vor mehr Herausforderungen als in drei anderen Opern zusammen. Die anderen Herren in dieser Produktion sind genauso hervorragend.
Das gleiche großartige Niveau haben die Damen, allen voran die phantastische Anne Schwanewilms als Primadonna/Ariadne und die virtuose Norwegerin Mari Eriksmoen als Zerbinetta. Die junge Nordländerin überzeugte mit ihrer großen Musikalität und ihrem glockenhellen Sopran. Sie sieht die Zerbinetta nicht als Bravour-Partie, sondern als ein junges Mädchen, das zwischen Ernsthaftigkeit und oberflächlicher Koketterie hin- und hergerissen ist (wobei leider letztendlich die Koketterie gewinnt). Ganz berührend ist der Schluß des Vorspiels, wenn sie mit dem Komponisten (der exzellenten Schweizerin Heidi Brunner) eines der schönsten Duette singt.
Die Deutsche Anne Schwanewilms ist für den EVOLVER-Klassikexperten eine der besten derzeitigen Strauss-Sängerinnen. Mit einem quellwasserklaren Sopran und einer mehr als intensiven Interpretation brachte sie die beiden Monologe so dar, daß man mit dem Abwischen der Tränen gar nicht mehr nachkam (übrigens gehören diese Monologe ohnehin zu den genialsten Werken der Opernliteratur).
Richard Strauss schaffte mit dieser Komposition den Spagat, ein 35-Personen-Orchester so zu instrumentieren, daß es zeitweise wie ein hundertköpfiges klingt. Am Pult des RSO-Orchesters steht diesmal Heidi Brunners Ehemann Bertrand de Billy, der mit dem auf ihn eingeschworenen Orchester eine durchwegs schlüssige Interpretation anbot. Wenn de Billy die beiden Monologe noch melancholischer und intensiver spielen hätte lassen, wäre das Opernglück vollkommen gewesen.
Aber was hat es nun mit "Ariadne" und "Semele" auf sich? Bacchus singt am Schluß:
Bin ich ein Gott, schuf mich ein Gott,
Starb meine Mutter in Flammen dahin,
Als sich in Flammen mein Vater ihr zeigte ...
Bacchus' Mutter ist keine andere als Semele (und Jupiter oder Zeus sein Vater)! Einen "Zufall" wie das Aufeinanderfolgen dieser beiden Opern gibt es wahrscheinlich in keinem anderen Opernhaus.
Herbert Hiess
Kommentare_