Musik_Archive - Noise

Archivlärm

Auf ihrem neuen Album verabschiedet sich die Innerlichkeits-Band von TripHop-Klischees und entdeckt - nicht als erste - the dark side of the moon.    30.07.2004

Eines Tages hörte die Schreiberin dieser Zeilen eine düstere Ode an die Schlaflosigkeit im Radio, holte sich Stift und Zettel, um den Titel zu notieren, und war dann mehr als überrascht, als sich heraustellte, daß gerade die neue Single "Sleep" von Archive ertönt war. Weil sie doch in der Vorbereitungssphase auf diese Rezension gelesen hatte, daß Archive eigentlich für halbherzigen TripHop bekannt waren.

Man nimmt also schnurstracks die neue CD "Noise" zur Hand und stellt fest: Von halbherzigem TripHop kann hier wirklich keine Rede mehr sein. "Noise" schwebt in einer Mischkulanz aus grandiosen Synthbeats, dröhnenden Gitarren und verzerrten Melodien, begleitet von Craig Walkers tiefer, leicht weinerlich klingender Stimme, die an die von Thom Yorke auf "Karma Police" oder die von Manic-Street-Preachers-Sänger James Dean Bradfield erinnert.

Solche Vergleiche fallen aber nur in Hinblick auf den Gesang leicht; ansonsten ist "Noise" eine Darbietung ohnegleichen. Das Album enthält elf vor allem in Sachen Dramaturgie und Steigerung exquisite Songs. "Fuck U" zum Beispiel beginnt ganz ruhig und passiv, steigert sich jedoch zu einem lauten, aggressiven Vorwurf: "There´s a look on your face/I would like to knock out". Texte wie diese bringen auf den Punkt, was man schon immer zu einem Feind sagen wollte, sich aber nie traute. Das gesamte Album spielt sich auf einer solchen Ebene ab - ob ungezügelte Vorwürfe wie dieser oder schlichte Liebeserklärungen wie das 30 Sekunden lange, kindliche "Wrong": Es geht hier um den freien Ausdruck. Auf "Get Out" schreit Walker den Titel des Songs mehrmals in betrunkener Rage heraus, weil er hier - wie auf allen Nummern - seine persönlichen Dramen ausbreitet.

Diese Intimität macht "Noise" unwiderstehlich. Durch die Synthese aus Drone und Aggression kippt man leicht in die Musik hinein und wird auf eine Achterbahnfahrt der Gefühle mitgenommen. Manchmal erinnert das an die epischen Pink Floyd: Man fühlt sich beim Hören wie im Schlafwandel oder im Alptraum, will diese mysteriöse Ebene aber auf keinen Fall verlassen. Die letzten paar Tracks sind im Vergleich zu den erwähnten eher unspektakulär. Archive hätten das Album lieber dann beenden sollen, als es am stärksten war, nämlich mit "Pulse". Nur einen Tanz noch im Taumel des verzerrten Feedbacks. Ansonsten gilt: So laut hören, bis die Boxen scheppern.

Barbara Matthews

Archive - Noise

ØØØ 1/2


East West/Warner (GB 2004)

 

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