Musik_Anna Netrebko & Rolando Villazón - Duets

Rendezvous im Mittelfeld

Die Namen der Klassik-Singvögelchen stehen für Glamour, klingende Kassen und hysterische Fans - und jede ihrer unzähligen Veröffentlichungen wird als "Weltereignis" abgefeiert. Doch die Welt hat bald genug.    22.03.2007

Rolando Villazón, der Mexikaner mit den österreichischen Wurzeln, und die russische Neo-Österreicherin Anna Netrebko sind derzeit so en vogue, daß sie anscheinend überall auftreten und für ihre Events noch dazu jeden Eintrittspreis verlangen können - was sie beispielsweise vergangenen Herbst in der Wiener Stadthalle unter Beweis gestellt haben. Sowas steht aber nicht unbedingt für Qualität, sondern vielmehr für gelungenes Marketing. Und daran kann auch das arrogant-herablassende Feuilleton nichts ändern, wenn es immer wieder augenzwinkernd postuliert: "Wie schön, daß so viele Menschen so rasch zur Kunstform Oper gebracht werden!" Ja, ja - ist doch wirklich toll, daß so viele Menschen so viele Euros (wer noch umrechnen kann, stellt rasch fest, daß eine Karte etwa so viel kostet wie das monatliche Lebensmittelbudget für eine mittlere Familie) ausgeben, um zwei insektengroße Personen auf einer weitentfernten Bühne zu sehen und dazu Klänge in Disco-Qualität aus den Lautsprechern zu hören.

Das aktuelle und naturgemäß wieder einmal "ultimative Musik-Event" der beiden ist ihre bei der Deutschen Grammophon erschienene CD "Duets". Acht Stücke finden sich darauf - angefangen vom Schlußduett aus dem ersten Akt von "La Bohème" über das Duett aus "Rigoletto" bis hin zum Duett aus "Manon" (mit der Frau Netrebko ja gerade in der Wiener Staatsoper brilliert).

 

Die Leistung der Protagonisten auf dieser Neuerscheinung ist jedoch von höchst unterschiedlicher Qualität. Anna Netrebko liefert die mit Abstand bessere Darbietung: Mit glockenhellem Timbre und klarer Technik führt sie ihre Stimme souverän durch die Duette; zeitweise erinnert sie dabei an die junge Dame Joan Sutherland - mit der sie allerdings auch die extreme Wortundeutlichkeit teilt. Ob Italienisch, Französisch oder Spanisch - jede Sprache klingt bei ihr wie ein vokaler Einheitsbrei. Darüber hinaus vermittelt die Netrebko dem Hörer eine gewisse Kälte, die keinerlei Leidenschaft, sondern lediglich Distanziertheit verspüren läßt.

Ihr tenoraler Partner Rolando Villazón kommt aber noch um einiges schlechter weg. Der Troubador plagt sich von Duett zu Duett, stemmt die Töne, singt manchmal gepreßt und distoniert im Extremfall sogar. Niemals klingt seine Stimme rund, leicht und frei. Richtig schmerzhaft wird es dann beim Duett Gilda-Herzog aus Verdis "Rigoletto". Während Anna zwar kalt, aber wunderschön die Töne perlt (bis hin zum hohen D!), würgt Villazón Ton für Ton hervor. Auch wenn er dem Hörer suggerieren möchte, daß er wie Giuseppe di Stefano klingen kann (das hat ja selbst ein José Carreras zeitweise versucht), ist das Ergebnis eher fragwürdig, vor allem, wenn man noch Alfredo Kraus oder Luciano Pavarotti im Ohr hat. Auf einen Herzog wie Villazón würde eine Gilda nie hereinfallen ...

Die Staatskapelle Dresden unter einem gewissen Nicola Luisott leistet ganz passable Arbeit. Das Duett aus "La Bohème" ist zwar fad und nichtssagend gespielt, die anderen Nummern dafür umso interessanter und dramatischer. Generell bleibt die Besetzungspolitik der Plattenfirmen aber unverständlich. Warum mißbraucht man ein Weltorchester wie die Staatskapelle Dresden als Begleitorchester? Warum werden für hochkarätig besetzte Recitals unbekannte Dirigenten verwendet? (Ausnahme: die CD mit Netrebko und Flemming, bei der der geniale Valery Gergiev die musikalische Inszenierung besorgte.) Wir wissen es nicht ... und die Herren in den Chefetagen der Plattenfirmen ganz bestimmt auch nicht.

 

PS: Damit Herr Villazón nicht ganz so schlecht wegkommt, sei an dieser Stelle kurz auf seine Zarzuela-CD Gitano verwiesen. Darauf beweist der Mexikaner 15 Nummern lang, daß ihm dieses Genre viel mehr liegt - und daß er auch um einiges freier und ausgeglichener klingen kann. Merke: Sänger, bleib bei deinem Leisten!

Herbert Hiess

Anna Netrebko & Rolando Villazón - Duets

ØØØ


Deutsche Grammophon/Universal (D 2007)

 

Anna Netrebko, Rolando Villazón

Staatskapelle Dresden/Nicola Luisotti

 

Photos © Kasskara

Links:

Kommentare_

Angelina Dietl - 27.06.2007 : 13.40
Ja, ja, da sieht man, was Neid und Eifersucht alles ausmachen können! Selbst wenn einem Rolando Villazón persönlich nicht so sympathisch wäre, müßte man zugeben, wie unqualifiziert di ehier wiedergegebene Beurteilung der CD "Duets" ist. Wahrscheinlich steck thinter dem Autor ein verbitterter Mensch, der selbst gerne als Sänger Karriere gemacht hätte und es nun diesem jungen Ausnahmetalent bitter Neid, diesen Erfolg zu haben. Der Autor hört anscheinend nicht die hohe Intelligenz von Villazóns Stimmführung, den warmen, fast baritonalen Schmelz und die sichere Höhe in dieser Stimme. Schade, wenn niedere Gefühle eine objektive Beurteilung unmöglich macht. Frau Netrebko stehe ich durchaus kritisch gegenüber und ich stimme natürlich auch zu, daß Herr Villazón nicht alles singen kann - was er glücklicherweise auch nicht tut! Lassen wir also die Kirche im Dorf und erfreuen wir uns neidlos an den wunderschönen Aufnahmen dieser CD - mit Vorfreude auf die nächsten Einspielungen von Rolando Villazón.
Herbert Hiess - 27.06.2007 : 15.14
Liebe Frau Dietl,

danke für Ihren Kommentar zu meiner Rezension; ich verstehe auch Ihre "Fan"-mäßige Einstellung zu Rolando Villazon. Ich bin kilometerweit - ja sogar Lichtjahre! - davon entfernt, jemandem u. besonders Herrn Villazon etwas neidig zu sein. Diese Entfernung entspricht auch meine persönliche Neigung zum Gesang. Daher könnte auch niemals "Neid und Verbitterung" hinter meinen Worten stecken.

Was ich aber perfid finde, ist die Tatsache, wie Herr Villazon verheizt wird! Und da bekanntlich zwei dazu gehören; hat er auch etwas Mitschuld.

Ich kann mit meinen bald 47 Jahren behaupten, die Crème de la Crème der Sänger kennengelernt zu haben (oft auch persönlich). Von Pavarotti,Carreras,Domingo über di Stefano, Gedda, Alfredo Kraus bis hin zu Araiza, Villazon, Alagna usw. Da ich selbst mich intensiv auch mit den Werken auseinandersetze u. gewisse Vergleichsmuster in mir trage, traue ich mir schon eine gewisse Beurteilungskraft zu.

Niemand streitet die intelligente Interpretation und den "baritonalen Schmelz" Herrn Villazons ab. Aber seien Sie trotz Ihrer pers. Affinität zu dem Tenor ehrlich - das Duett Herzog - Gilda kann nicht wirklich als gelungen bezeichnet werden.

Und es wäre schade, wenn Villazon aus irgendwelchen Gründen sich in der "Verheizspirale" verbrennen läßt. Giuseppe di Stefano, dessen Stimme u. Timbre der Villazons sehr ähnlich geklungen hat, hat sich letztlich auch viel zu früh ausgesungen.

Aber ich toleriere sehr wohl Ihre Meinung wie ich Sie auch bitte, die meine zu tolerieren. Ich würde mich freuen, wieder von Ihnen zu hören.

Liebe Grüße
Mag. Herbert Hiess

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