Musik_AFX - Hangable Auto Bulb

Zwischen den Stühlen

Das Aphex-Twin-Backorder-Angebot ist komplett. "Hangable Auto Bulb" erscheint nach zehn Jahren auf CD und beweist erneut, daß die raresten Scheiben nicht immer die besten sind.    23.12.2005

Warp Records erlöst nach langem Bangen viele AFX-Sammler von ihren Qualen. Nicht nur, daß es praktisch unmöglich ist, in den Besitz der streng limitierten EPs von 1995 zu kommen (es sei denn, man unterwirft sich dem Diktat des Second-Hand-Markts und zahlt horrende Auktionspreise), läßt der Zustand derselben aufgrund des Alters und der clubmäßigen Überbeanspruchung meist zu wünschen übrig.

"Hangable Auto Bulb" waren ursprünglich zwei EPs, die kurz hintereinander veröffentlicht wurden. Die erste (6 Songs) hatte eine Auflage von 3000 Stück, die zweite (2 Songs) nur 2500 - für einen Elektronik-Star wie Richard D. James lächerlich wenig. Das ist auch der Hauptgrund, warum die "HAB"-Scheiben innerhalb kürzester Zeit zu den meistgesuchten AFX-Kultraritäten avancierten, gehören sie doch mit Sicherheit nicht zu den besten Releases von Aphex Twin.

"HAB" markiert einen Wendepunkt in der Aphex-Musikgeschichte. Der AFX-Acid (alias Caustic Window) war schon out, seine Ambient-Spielereien langweilten ihn selbst, und harte Experimental-Technoknaller wie "On" lagen auch schon Jahre zurück. Es war somit höchste Zeit, sich etwas Neues auszudenken. Hört man aufmerksam "Hangable Auto Bulb", kann man sich ihn richtig vorstellen, wie er in seinem Zimmer voller Maschinen vor dem PowerMac sitzt, Drum-Sounds recycelt, die Hardware-Sampler programmiert und mit manischem Fingerspitzengefühl noch nie gehörte Klanguniversen und Drumbatterien erschafft. Nicht zu vergessen das berühmte Aphexsche "Daumen"-Klavier.

Im Detail: "Children Talking" baut auf einem mäßig originellen Kindersprech-Tape auf: "I hate mashed potatoes" sagt der Knabe und Papa (oder James?) erwidert wenig verständnisvoll: "Why do you hate mashed potatoes?" Das Tape kreiselt wie eine tibetanische Gebetstrommel und schon hebt das grammelnde Knarzen an, zerhackte Metall-Beats wetteifern mit dröhnenden Baß-Sounds, - ein typischer Aphex-Song, allerdings ohne besondere Konturen. "Hangable Auto Bulb" ist da schon interessanter. Zum ersten Mal schreddert James Highhats und Snares in rasend schnellen Stakkatos ineinander und schafft so völlig neue Instrumente, die ihm auf seinem bald darauf veröffentlichten "Richard D. James Album" zu Weltruhm verhalfen. Allerdings klingt das 1995 alles noch etwas "unmastered".

"Laughable Butane Bob" ist auch so ein Prototyp und enthält alle Ingredienzen, die James benötigte, um seinen ganz eigenen "Drill and Bass" zu entwickeln. Die letzten beiden Songs "Every Day" und "Arched Maid via RDJ" erinnern noch stärker an ältere Aphex-Releases, wie sie sich auf der nahezu gleichzeitig veröffentlichten Kompilation "I Care Because You Do" finden lassen.

Fazit: "HAB" ist ein Close-up, eine Momentaufnahme, und zeigt Mr. James in vergnügter Bastellaune an der Schwelle von Ambient/Acid hin zu seinem typischen AFX-Style, der ganzen Generationen von Fricklern (von Chris Clark bis Richard Devine) als Inspirationsquelle dienen sollte und Warp Records zu ihrem Höhenflug in den 1990ern verhalf. Für Musikhistoriker unentbehrlich, ist "HAB" aufgrund des demohaften Mastering allerdings nur wirklichen Aphex-Nerds ans Herz gelegt.

Ernst Meyer

AFX - Hangable Auto Bulb

ØØØ


Warp/edel (GB 2005)

 

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